Dein Tee und seine Herkunft
Der erste der in Lektion 2 genannten
8 Faktoren, die Einfluss auf die Identität und Qualität des Tees in deiner Tasse
haben, ist dessen Herkunft. Sie ist ein direktes und überaus prägendes Merkmal des Tees in deiner Tasse. Als solches wird sie dir in den allermeisten Fällen Hinweise zu Faktoren wie Terroir, Varietät/Kultivar, Anbaustil, Pflückung und Verarbeitungskategorie liefern. Das geht bei manchen Herkunftsorten soweit, dass du allein aus der Herkunft – ohne weitere Informationen, Beschau oder Verkostung – bereits mit hoher Wahrscheinlichkeit auf die genaue Teesorte und damit natürlich auch auf viele weitere Eigenschaften des Tees in deiner Tasse schließen kannst.
Hier ein Beispiel: Hangzhou, in der ostchinesischen Provinz Zhejiang… Na, klingelt’s? Genau, Long Jing Grüner Tee natürlich, denn das ist der Tee, der in Hangzhou überwiegend angebaut wird. Man könnte auch sagen, dass der Anbau und die Verarbeitung von Long Jing Tee prägend für die „Teekultur“ von Hangzhou sind. Und zwar nur für diese… Die in Lektion 1 beschriebene Anpassungsfähigkeit der Teepflanze sorgt nämlich nicht nur dafür, dass die Teepflanze sich an verschiedene Orte anpasst. Sie ist auch dafür verantwortlich, dass der Tee eines bestimmten Kultivars an einem anderen Ort praktisch nicht reproduzierbar ist.
Ganz so einfach wie bei dem gewählten Beispiel Hangzhou und Long Jing ist es natürlich nicht immer. Zum einen gibt es Orte, an denen mehr als eine Teepflanzenvarietät zuhause ist. Zum anderen gibt es Varietäten, die auf unterschiedliche Weise verarbeitet werden können. Also beispielsweise sowohl zu grünem als auch zu schwarzem Tee. Trotzdem gilt: je weiter du die Herkunft deines Tees geographisch eingrenzen kannst, desto mehr kann sie dir über diesen verraten. Voraussetzung hierfür ist natürlich, dass du über möglichst umfangreiche Kenntnis der einzelnen Teekulturen verfügst.
„Herkunft“ und „Teekultur“
Als Faustregel gilt: jede Herkunft hat ihre eigene Teekultur. Du kennst sicher die großen Teekulturen der Welt, China, Taiwan, Japan und Indien. Daneben gibt es noch viele kleinere nationale Teekulturen, wie z. B. Vietnam, Korea, Indonesien, die Türkei, usw. Alle diese Länder sind einerseits Erzeuger-, also Herkunftsländer und verfügen andererseits über eine ausgeprägte Teegenusskultur. Ihre jeweiligen Teekulturen haben sich über Hunderte, oder, wie im Fall Chinas oder Japans, über Tausende von Jahren entwickelt. Entsprechend weist jede Teekultur ihre eigenen Merkmale auf, zu denen neben dem spezifischen Terroir und den heimischen Kultivaren auch individuelle Standards für Anbau, Pflückung und Verarbeitung bis hin zur Zubereitung der lokalen Teesorten gehören.
Neben solchen Hinweisen auf dessen objektive Eigenschaften liefert die mit der Herkunft deines Tees verknüpfte Teekultur dir aber noch etwas anderes. Nämlich das, was ich hier jetzt ganz salopp mal als den „kulturellen und historischen Background“ deines Tees bezeichnen möchte. Schließlich entsteht eine Teekultur nicht im luftleeren Raum. Sie ist vielmehr eingebettet in die größere, Religion und soziokulturelles Gefüge umspannende Gesamtkultur eines Landes. So sind die Gebräuche um den Teegenuss an einem Ort immer auch ein Spiegel der dort herrschenden Sitten. Dazu bietet das Studium der Teekultur eines Landes dir eine farbenfrohe und gleichermaßen interessante wie unterhaltsame Zeitreise durch dessen Geschichte.
Nationale, Regionale und Lokale Teekulturen
Ich habe oben bereits einige Länder erwähnt, die jeweils über eine eigene – nationale – Teekultur verfügen. Nun gibt es in China, Taiwan, Japan, Indien, Vietnam, usw. genau genommen aber nicht nur jeweils EINE Teekultur. Vielmehr haben sich in all diesen Ländern auch besondere Teekulturen auf regionaler und lokaler Basis entwickelt. Diese weisen immer sowohl geteilte Merkmale der jeweiligen „Mutterkultur“ als auch eigene, individuelle Merkmale auf. Dies lässt sich vielleicht am allerbesten am besonders großen Beispiel China veranschaulichen…
Da wäre zunächst die – nationale – chinesische Teekultur als Ganzes, 5000 Jahre alt… Da praktisch alles, was mit Tee zu tun hat, in China erfunden wurde, gibt es hier jede Anbaumethode, jede Form der Pflückung und alle Verarbeitungskategorien. Es gibt – mindestens – Hunderte von Varietäten, Teebäume, Teebüsche, alle Größen… Kleine Blätter, große Blätter, ganze Blätter, CTC, Pulvertee… Ich glaube, du verstehst, was ich meine.
Wenden wir uns nun aber einer bestimmten Region innerhalb Chinas zu, sagen wir der Provinz Fujian, verdichtet sich das Bild bereits ein wenig. Trotzdem haben wir hier mit Anxi (Tie Guan Yin), Fuding (White Peony, Silver Needle) und Wuyishan (Stein- und Lapsang-Tees) noch drei recht eigenständige – regionale – Teekulturen. Lass uns deshalb nun eine davon etwas genauer betrachten…
In Wuyishan gedeihen einerseits verschiedene Wuyi „Rock Oolong“ oder „Steintee“-Kultivare wie Da Hong Pao, Tie Luo Han, Rou Gui und Shui Xian. Andererseits ist die Region weltberühmt für seine schwarzen Lapsang-Tees. Beides sind Teile der Teekultur Wuyishans. Trotzdem, wenn du weißt, dass dein Tee aus dem Dorf „Tong Mu“ kommt, dann ist es wahrscheinlich kein Rock Oolong-Tee, sondern ein schwarzer Lapsang-Tee. Denn Tong Mu ist der Ort der Herkunft des berühmten Lapsang Souchong Tee. Und Wuyishan Insider werden das Gebiet um Tong Mu sicherlich als eine eigenständige – lokale – Teekultur erachten.
Teekultur ohne Herkunft / Herkunft ohne Teekultur – Reine Teegenusskulturen / Tee als „Commodity“
Gewissermaßen ein Sonderfall sind Herkunftsländer, die über eine nur schwach ausgeprägte oder gar keine Teekultur verfügen. Ein Beispiel hierfür wäre Kenia. Kenia ist zwar einer der größten Teeerzeuger der Welt, aber trinken tut Tee in Kenia kaum jemand. Vielmehr produziert das Land Tee hauptsächlich für den Export, was Tee aus Kenia quasi auf eine „Commodity“ reduziert. Das heißt, es geht darum, möglichst viel Tee zu einem möglichst günstigen Preis zu erzeugen. Dass die Qualität solchen Tees dabei auf der Strecke bleiben muss, liegt auf der Hand. Deshalb wirst du reinen Tee aus Kenia auch nur selten in deiner Tasse finden. Denn der allergrößte Teil des dort erzeugten Tees geht entweder in „Blends“ (Mischungen verschiedener Sorten und Herkunft) oder anderweitig in Produkte ein, für welche die Qualität des verwendeten Tees eine untergeordnete Rolle spielt.
Ein weiterer Sonderfall sind Teekulturen, die nicht gleichzeitig Herkunftsländer sind. Beispiele hierfür wären Großbritannien und Ostfriesland. Wir bezeichnen diese Länder deshalb als Teekulturen, weil sich dort jeweils spezifische Kulturen um den Genuss des Tees entwickelt haben. So wird beispielsweise natürlich keine der in „English Breakfast Tea“ enthaltenen Teesorten in England angebaut. Vielmehr sind es die Rezeptur und der damit verbundene Brauch, welche aus der britischen Teekultur hervorgegangen sind. Bei genauerer Betrachtung wird deutlich, dass solche „Teegenuss-Kulturen“ sich vorrangig an den Endpunkten der historischen Land- und Seewege des Tees von Asien nach Russland und Europa entwickelt haben.
Dein Studium der Teekulturen
Wir haben bereits festgestellt, dass die Herkunft deines Tees dir nur dann Informationen über diesen liefern kann, wenn du auch etwas über die zugehörige Teekultur weißt. Und je mehr du über diese weißt, desto umfangreicher die Informationen, welche die Herkunft dir liefert. Und: je genauer die Herkunftsangabe, desto punktgenauer die Hinweise, die du erhältst.
Aber wie genau eignest du dir Wissen über die Teekulturen der Welt an? Keine Bange, so schwer ist das nicht, und Spaß macht es noch dazu! Ein bisschen lesen wirst du aber schon müssen… Vielleicht besorgst du dir das eine oder andere gute Buch zum Thema. Oder du folgst einschlägigen Bloggern und Social-Media-Seiten online. Im Internet, z. B. auf YouTube, findest du außerdem viele Videomaterialien, die dir auch einen visuellen Eindruck von einzelnen Teekulturen vermitteln. Das allerwichtigste ist aber, dass dein Studium von der praktischen Erforschung der aus den einzelnen Teekulturen hervorgegangenen Tees begleitet wird. Denn nur so schließt sich der Kreis, und aus Wissen wird Verständnis…
Die Kleine Teeschule – Das ABC vom Tee wird die wichtigsten Teekulturen der Welt zu einem späteren Zeitpunkt noch detailliert behandeln. Die nächste Lektion behandelt nun aber zunächst den zweiten identitäts- und qualitätsstifenden Faktor des Tees in deiner Tasse: Terroir!
Empfohlene Quellen
- Eine informative Übersicht über die wichtigsten Teekulturen der Welt liefert dir nebst weiteren Informationen über den Ursprung und die Verbreitung der Teepflanze mein Video-Tutorial hier:
- Die passende und anschaulich illustrierte Lektüre dazu findest du unter den folgenden Links im Siam Tee Blog / DER TEESPIEGEL:
Teste dein Teewissen – Lektion 3
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