Lektion 10/5 : Teekulturen der Welt (5) – Geschichte der Teekultur in Japan

Schlüsselereignisse der Entwicklung der Teekultur in Japan

1. „First Contact“

Während die Tang-Dynastie (618-907)  in China als das „Goldene Zeitalter des Tees“ gilt, blieb Tee in Japan bis zu Beginn der Heian-Periode (794–1185) unbekannt. Fuß gefasst hatte in beiden Ländern zu jener Zeit jedoch bereits der Buddhismus, so dass Studienreisen buddhistischer Mönche zwischen Japan und China nichts Ungewöhnliches waren. Und so waren es auch buddhistische Mönche, die Japan im Rahmen des so entstandenen kulturellen Austauschs erstmals mit Tee in Kontakt brachten.

Eine zentrale Rolle spielen hierbei die japanischen Mönche Eichu (743-860), Kukai (745-835) und Saicho (767-822). Eichu hatte nach über 30 Jahren in China den Tee, den er nicht mehr missen wollte, im Jahr 805 mit zurück nach Japan gebracht. Noch in China hatte er Kukai und Saicho kennengelernt, die vergleichsweise kurze Studienreisen dorthin unternommen hatten. Es heißt, Kukai sei dem damaligen japanischen Tenno (= Kaiser) Saga persönlich nahegestanden und habe diesem von dem Tee aus China berichtet. Weiter ist eine Begegnung zwischen Eichu und ebenjenem Tenno im Jahre 815 literarisch dokumentiert, in deren Rahmen der erstere dem letzteren eine Schale Tee reichte.

Saga, der von dem neuen Getränk begeistert war, ordnete in der Folgezeit Teepflanzungen an mehreren Orten Japans an. Bis heute erhalten ist das 50 Quadratmeter große Überbleibsel eines Teegartens, den Saicho selbst nahe dem am Fuße des Mount Hie gelegenen Shinto-Schrein „Hiyoshi Taisha“ gepflanzt haben soll. Allerdings hat der Tee, der heute aus diesen Pflanzen gemacht wird, mit dem Tee aus Saichos Zeit nur noch wenig zu tun.

Dancha

Der Tee jener Zeit hieß „Dancha“ und war der gleiche, wie er auch im China der Tang-Ära getrunken wurde. Zu seiner Herstellung dämpfte man die Teeblätter zunächst mithilfe entsprechender Vorrichtungen aus Riet oder Bambus. Anschließend zerstampfte man die so haltbar gemachten Teeblätter in einem Mörser. Den hieraus resultierenden „Blättermatsch“ formte man sodann portionsweise zu Kugeln, welche man schlussendlich über dem Feuer trocknete.

Für den Genuss erwärmte man eine solche Kugel zunächst wieder über dem Feuer. Nach vollständiger Trocknung folgte dann das Zermahlen des Tees zu einem feinen Pulver. Dieses gab man schließlich unter Zugabe von Salz in kochendes Wasser. Das Ergebnis trank man ungefiltert, wobei sich allerdings ein Großteil der freischwimmenden Partikel am Boden des Gefäßes ablagerten, aus dem man den Tee in Trinkschalen ausgoss.

Schüsselfiguren der Entwicklung der Teekultur in Japan
Schüsselfiguren der Entwicklung der Teekultur in Japan

2. Anfänge des Teeanbaus in Japan – von Togano‘o bis Uji

2.1. Eisai – Vater des Teeanbaus in Japan

Bedingt durch die politischen Umstände der Zeit kam es gegen Ende des 9. Jahrhunderts zu einem vorübergehenden Abbruch der diplomatischen Beziehungen und des kulturellen Austauschs zwischen Japan und China. Als Folge hiervon wurde es auch um den Tee in Japan zunächst wieder eher ruhig. Erst als buddhistische Mönche zu Beginn des 13. Jahrhunderts ihre Studienreisen nach China wieder aufnahmen, erhielt die japanische Teekultur einen erneuten Impetus. Eine zentrale Rolle kommt hierbei einem Zen-Mönch namens Eisai (1141-1215) zu.

Eisai brachte bei seiner Rückkehr von 2 mehrjährigen China-Aufenthalten nicht nur Tee mit zurück nach Japan, sondern auch eine neue Form von dessen Zubereitung. Denn in China, wo die Tang-Dynastie inzwischen von der Song-Dynastie abgelöst worden war, kochte man das Teepulver nun nicht mehr in heißem Wasser, sondern übergoss es mit demselben. Auch das „Aufschlagen“ des Teepulvers, wie wir es heute von der Matcha-Zubereitung her kennen, war dort bereits bekannt.

Neben der Einführung der neuen Zubereitungsmethoden machte Eisai sich um weitere Teepflanzungen an verschiedenen Orten Japans verdient. Dabei war seine Perspektive auf den Tee weniger an Genussaspekten als vielmehr an dessen physischen Wirkungen orientiert. So berichtet er in seinem Buch „Kissa Yoyo-ki“ (= „Teetrinken für die Gesundheit“) auch schwerpunktmäßig von den gesundheitlichen Wirkungen des Tees. Weiter beschreibt er dort erstmals auch Methoden von dessen Anbau, Verarbeitung und Zubereitung. 1214 präsentiert er sein Werk Shogun Minamoto no Sanetomo (1192-1219), zu jener Zeit der mächtigste Mann in Japan. Diesen hatte er zuvor mithilfe von Tee von einem auf übermäßigen Alkoholgenuss zurückzuführenden Leiden kuriert. Infolge dieses Ereignisses profitierte die weitere Entwicklung der Teekultur in Japan von der aktiven Förderung durch das Shogunat.

Entwicklung d. Teekultur in Japan – Eisei’s „Kissa Yojoki“ (1214)

2.2. Togano’o – Wiege der japanischen Teekultur

Myoe (1173-1232), ein Schüler Eisais, pflanzte schließlich Teesamen, die sein Lehrer ihm mit einschlägiger Empfehlung überreicht hatte, in dem nordwestlich von Kyoto gelegenen Togono’o an, auf dem Gelände des Kozan-ji-Schreins, in dem Myoe als Mönch diente. Die hierauf folgenden Entwicklungen machen Togano’o rückblickend gesehen zur eigentlichen Wiege der japanischen Teekultur.

In der Folgezeit galt nur Tee aus Togano’o als echter Tee, während Tee aus anderen Regionen Japans als „nicht-genuin“ erachtet wurde. Wettbewerbe rund um die Unterscheidung zwischen den beiden wurden zur beliebten Freizeitaktivität unter Mitgliedern des Adels und der Kriegerkaste. Auch sonst blieb der Teegenuss in Japan zu jener Zeit auf diese beiden – obersten – gesellschaftlichen Schichten beschränkt. Eine Ausnahme hierzu bilden die Tempel, in denen Tee auch im 13. Jahrhundert bereits bekannt war. Zum einen nutzte man ihn dort zur Unterstützung meditativer Praktiken. Zum anderen fungierte er als Medium bei Anlässen innerhalb der Priesterschaft sowie öffentlicher Natur. So ist beispielsweise überliefert, dass der Mönch Eison (1202-1290) seinen Mit-Mönchen in Nara’s Saidaiji-Tempel ab 1239 Tee im Kontext eines alljährlichen Rituals servierte. Das „Ocha-mori“-Ritual, das später auch gewöhnlichen Bürgern zugänglich gemacht werden sollte, ist aber nur ein Beispiel für Tee involvierende klösterliche Zeremonien im Japan des 13. und 14. Jahrhunderts.

Die Überlegenheit des Tees aus Togano’o gegenüber Tee aus anderen Regionen Japans war auf die dort herrschenden besonderen Anbaubedingungen zurückzuführen. Togano’o war waldreiches Hügelland. Als solches bot es dem Teeanbau nicht nur ausreichend Wasser und gute Böden, sondern auch optimale Lichtverhältnisse.

Waldreiche Umgebung des Kozan-ji Tempels in Togano'o
Entwicklung der Teekultur in JapanWaldreiche Umgebung des Kozan-ji Tempels in Togano’o

2.3. Uji – Invention des Tencha

Neben anderen Erkenntnissen ermöglichte insbesondere die Invention der kontrollierten Beschattung von Teepflanzen die Ausweitung des Anbaus von hochwertigem Tee über die gesamte Uji-Region. Die Grenzen zwischen „echtem“ und „nicht-genuinem“ Tee verschwammen, und mit zunehmender Verfügbarkeit erhöhte sich auch dessen Verbreitung. Grundlage des Uji-Tees des 14. und 15. Jahrhunderts war bereits der Tencha. Gleichzeitig gewann der aus ihm gewonnene Pulvertee zunehmend an Ähnlichkeit mit dem Matcha, wie wir ihn heute kennen.

Historische Schauplätze der Teekultur in Japan (um Kyoto) – Mt. Hiei, Togano’o, Mampuku-ji, Uji

3. Die Japanische Teezeremonie – „Chanoyu“

Im 15. Jahrhundert überwand der Tee weitere innergesellschaftliche Grenzen. Insbesondere die Tempel trugen durch öffentliche Zeremonien, in deren Kontext Tee gereicht wurde, zu dessen weiterer Verbreitung bei. So erreichte die Teekultur bald auch die Schicht der wohlhabenden Kaufleute und Beamten. Hier ging es nun allerdings immer weniger um Genuss, Gesundheit oder die wohltuende Wirkung von Tee im Kontext der Meditation. Stattdessen wurden der Tee und seine Zubereitung zunehmend zu Symbolen von gesellschaftlichen Status und materiellem Wohlstand.

Entwicklung der Teekultur in Japan - Japanische (Matcha-) Teezeremonie ("Chanoyu")
Entwicklung der Teekultur in JapanJapanische (Matcha-) Teezeremonie („Chanoyu“)

3.1. „Shoin“-Stil

Die typische Form der von der japanischen Oberschicht im späten 15. und frühen 16. Jahrhundert praktizierten Tee-Zeremonie war der „Shoin“-Stil. Charakteristisch für diesen ist die Zuschaustellung eines Überflusses an möglichst kostbaren Utensilien im Rahmen der Tee-Zeremonie. Insbesondere Shogun Ashikaga Yoshimasa (1435-1490) machte sich einen Namen für die Zurschaustellung seiner Macht und seines Wohlstands im Rahmen prunkvoller Teezeremonien.

3.2. „Wabi“-Ästhetik : Sen-no Rikyu

Die Entwicklung eines sehr viel simpleren, eng mit dem Buddhismus verbundenen Ansatz geht auf den Teemeister Murata Shuko (1423-1502) zurück. Der Zen-Schüler des einflussreichen Daitokuji-Tempels in Kyoto gilt als der eigentliche Vater der japanischen Teezeremonie. Ein Schüler des gleichen Tempels, Takeno Joo (1502-1555), machte sich um die Weiterentwicklung von Schuko’s Ansatz verdient. Mit dem wohlhabenden Kaufmannssohn wird erstmalig ein weder dem Klerus noch dem Adel noch der Kriegerkaste entstammender Bürger zu einem namhaften Protagonisten in der Entwicklung der japanischen Teekultur.

Auch die Entwicklung besonderer, der Tee-Zeremonie gewidmeter Räumlichkeiten fällt in diese Zeit. Während die verwendeten und zur Schau gestellten Utensilien ursprünglich aus China stammten, verlagerte sich der Schwerpunkt nun zunehmend hin zu solchen aus japanischer Herstellung.

Zur Perfektion brachte die Teezeremonie schließlich ein weiterer Schüler des Daitokuji-Tempels und Takeno Joo’s namens Sen-no Rikyu. Der wohlhabende Erbe eines großen Fischkontors und spätere Berater des einflussreichen Feldherrn und faktischen Herrschers Toyotomi Hideyoshi (1536-1598) in Teefragen prägte die für die japanische Teezeremonie richtungsweisende „wabi-sabi“-Ästhetik, in deren Zentrum die Prinzipien „Unvollkommenheit“ und „Vergänglichkeit“ stehen. Als sichtbarer Ausdruck dieser Philosophie reduzierte Rikyu sowohl die Größe als auch die Ausstattung seines Teeraums auf das erforderliche Minimum. 

Es heißt, dass Sen-no Rikyu und Toyotomi Hideyoshi, dem er als Teemeister diente, recht unterschiedliche ästhetische Auffassungen von der Teezeremonie vertraten. Es herrscht jedoch Übereinstimmung, dass diese Differenzen nichts mit dem rituellen Selbstmord, den Sen-no Rikyu auf Geheiß seines Herren beging, zu tun gehabt hätten. Dabei bleiben die tatsächlichen Hintergründe von des großen Teemeisters „Seppuku“ ein durch den Nebel der Geschichte gut gehütetes Geheimnis. Nach Rikyu’s Tod führten sowohl seine Urenkel als auch seine Schüler dessen geistiges Erbe fort. Dabei kamen die jeweils vertretenen Ansätze dem ihres großen Vorbilds unterschiedlich nah. Die drei hieraus resultierenden und nach dem jeweiligen Familienzweig benannten Schulen der Japanischen Teezeremonie sind bis zum heutigen Tag von herausragender Bedeutung für die japanische Teekultur:  Ura Senke, Omoto Senke und Mushakoji Senke.

Sen no Rikyu - Geistiger Vater der japanischen Teezeremonie

Entwicklung der Teekultur in Japan – Sen no Rikyu

3.3. Merkmale und Ablauf der „Chanoyu“

Im Mittelpunkt der traditionellen japanischen Teezeremonie „chanoyu“ steht der Matcha-Tee. Dabei darf man nicht vergessen, dass es Sencha zur Hochzeit der japanischen Teezeremonie noch gar nicht gab. Entsprechend erübrigte sich auch die Diskussion über die Vorzüge des einen über das jeweils andere. Tatsächlich ist es aber die direkte Zugehörigkeit des Matcha zur traditionellen japanischen Teezeremonie, die den herausragenden Stellenwert des aus Tencha hergestellten grünen Pulvertees innerhalb der Teekultur Japans bis zum heutigen Tag begründet.

3.3.1. Auftakt

Zur Durchführung der Zeremonie selbst gibt es trotz der verschiedenen Ansätze eine Reihe verbindlicher fundamentaler Regeln. Nicht zuletzt deshalb weisen die Zeremonien der einzelnen Schulen auch eine grundsätzliche strukturelle Ähnlichkeit auf. So verbindet beispielsweise alle Ansätze die Durchführung bestimmter Reinigungsrituale und das Abschreiten eines „Roji“ genannten Pfades durch die Teilnehmer auf deren Weg zum Teeraum. Das Abschreiten des „Roji“ symbolisiert hierbei zum einen das Ablegen aller Standesunterschiede zwischen den Teilnehmern. Das heißt, im Teeraum selbst sind alle gleich! Weiter steht der Weg auch für das Zurücklassen des Alltags und der damit verbundenen trivialen Weltlichkeiten.  

In der Regel besteht die Runde aus 5-6 Teilnehmern, von denen einer der Teemeister ist. Von den übrigen Teilnehmern hat typischerweise einer den Status eines Ehrengastes. Dies ist deshalb von Bedeutung, weil der Ehrengast bestimmte Funktionen im Rahmen der Zeremonie übernimmt und die übrigen Teilnehmer sich an ihm orientieren. Zur Anregung des Geschmackssinnes werden vor dem Tee häufig bestimmte einfache Speisen gereicht.

"Chanoyu" - traditionelle japanische Teezeremonie (Matcha)
Entwicklung der Teekultur in Japan – „Chanoyu“ – traditionelle japanische Teezeremonie (Matcha)
3.3.2. „Koicha“ / „Usucha“

Während des Hauptteils der Zeremonie wird in aller Regel nicht gesprochen. Der Fokus der Anwesenden liegt vielmehr auf dem Anrichten der verwendeten Utensilien durch den Teemeister und die Zubereitung des Tees selbst. Je nach Art und Umfang der Zeremonie kann dies entweder ein „koicha“ oder ein „usucha“ sein, oder beides. Dabei entspricht der „koicha“ einem dickflüssigen Schaum mit hohem Matcha- und geringem Wasseranteil. Der „usucha“ dagegen ist ein eher dünnflüssiger Tee mit entsprechender Proportionierung von Wasser und Teepulver. Wenn beide Arten von Tee zubereitet werden, markiert der Koicha den eigentlichen Kern der Zeremonie. Der Usucha begleitet in diesem Fall den diesem zeitlich nachgestellten weniger stark regulierten, „geselligeren“ Teil, während dem dann auch gesprochen werden darf. Allerdings gibt es auch hierbei Regeln betreffend die Themenwahl und die Art und Weise des Diskurses. Verbindlich sind in jedem Fall die Abwesenheit negativer Emotionen und der gegenseitige Respekt der Teilnehmer.

Im Falle des Koicha bereitet der Teemeister nur eine einzige Schale Tee für alle Teilnehmer zu. Dabei verrichtet er jede Bewegung im Zeitlupentempo, fließend und mit einem hohen Maß an Konzentration. Das Reinigen der verwendeten Gefäße und Utensilien, die Vorbereitung des Teepulvers, das Dosieren desselben in die Matcha-Schale („chawan“) mit dem „chashaku“… Jede Verrichtung folgt genau vorgeschriebenen Regeln und Abläufen. Ist der Koicha fertig zubereitet, reicht der Teemeister die Schale dem Ehrengast, welchem die Erstverkostung zukommt. Nachdem dieser einen Schluck genommen hat, reicht er die Schale nach einer leichten Drehung derselben an den nächsten Teilnehmer weiter. Dies setzt sich so lange fort, bis alle Teilnehmer getrunken haben. Dabei ist das den Gesamtprozess und jeden einzelnen Bestandteil davon begleitende Regelwerk so komplex, dass eine detaillierte Darstellung hier den Rahmen sprengen würde. Der Weg zum Teemeister ist daher kein leichter und umfasst ein gleichermaßen anspruchsvolles wie langwieriges Studium.

Matcha : Pulver / Koicha
Entwicklung der Teekultur in Japan – Matcha : Pulver / Koicha
3.3.3. „Cha-Do“

Die philosophische Grundlage der Chanoyu ist der „Cha-Do“ (= „Tee-Weg“). Dessen wichtigstes Merkmal wiederum ist die Abwesenheit eines Zieles. Das heißt, „Tee“ IST der Weg, und der Weg IST das Ziel… Während die formale Ausbildung zum Teemeister in Japan also einen zertifizierten Abschluss und damit ein formales Ende hat, hat der eigentliche Tee-Weg keines. Dies bedeutet aber auch, dass eine formale Ausbildung keineswegs eine mandatorische Voraussetzung für das Beschreiten des Tee-Weges ist. Anders ausgedrückt: Teemeister kann ein jeder werden, der diesen Weg mit Herz und Hand beschreitet!

4. Die Entdeckung des Blatttees in Japan

4.1. Ingen Ryuuki – Blatttee statt Pulvertee

Ingen Ryuuki (1592 – 1673) war ein chinesischer Zen-Mönch, der sich in seiner Heimat als Dichter und Kalligraf sowie durch seine eigenwillige Auslegung des Buddhismus einen Namen gemacht hatte. Sein Ruf war bis nach Japan vorgedrungen, von wo man ihn 1654 schließlich zum Dienst in einem Zen-Tempel in Nagasaki berief. Während seiner Zeit in Nagasaki gelang es ihm, sowohl die Gunst des amtierenden Tennos als auch die des seinerzeit faktisch über Japan herrschenden Tokugawa-Shogunats zu erlangen. So war es Shogun Tokugawa Ietsuna, der ihm schließlich Land zur Gründung eines Zen-Tempels in Uji, Kyoto, zur Verfügung stellte. Der dort im Jahr 1661 von Ingen gegründete Mampokuchi-Tempel sollte eine Schlüsselrolle bei der Entdeckung des Blatttees in Japan spielen.

Im China der späten Ming-Dynastie (1368 – 1644) hatte sich die Methode der Zubereitung von Tee durch Übergießen der Teeblätter mit heißem Wasser durchgesetzt. Diese Methode brachte Ingen Ryuuki erstmals mit nach Japan und propagierte sie im Mampokuchi-Tempel als Alternative zur Zubereitung von Pulvertee. Wie diesem konnte man auch den frisch gepflückten Teeblättern mittels Dämpfung zu einer gewissen Haltbarkeit verhelfen. Allerdings war die Technik des Rollens der Teeblätter zu Zeiten Ingen Ryuuki’s noch nicht erfunden. Sein Blatttee hatte daher noch wenig Ähnlichkeit mit dem Sencha, wie wir ihn heute kennen.

die „Sencha-Methode“ – ein Meilenstein in der Entwicklung der Teekultur in Japan

4.2. Anfänge der Sencha-Kultur in Japan

4.2.1 Nagatani Soen – Erfindung der „Sencha“-Methode

Erst die Erfindung der Methode des Rollens der Teeblätter im Jahr 1738 legte den Grundstein für Japans heutige Sencha-Kultur. Ob Nagatani Soen (1681-1771), ein Teefarmer aus Ujitawara, Kyoto, von allein auf die vorteilhafte Wirkung des Aufbrechens der Blattporen auf den Geschmack des fertigen Tees gekommen war oder ob seine Ideen von einer im China seiner Zeit bereits geläufigen Praxis inspiriert waren, sei dabei dahingestellt. Jedenfalls mündeten seine Experimente mit dem Rollen der Teeblätter auf dem Ofen während des Trocknens in der Geburt des Sencha-Tees.

4.2.2. Baisao – Japans erster „Sencha-Do“-Meister­

Besondere Verdienste bei der Verbreitung des neuen Tees (Sencha) kommen Baisao (1675-1761), dem ersten „Sencha-Do“-Meister Japans zu. Geboren unter dem Namen Shibayama Kikusen, trat dieser mit 11 Jahren einem Tempel der von Ingen Ryuuki gegründeten Obaku-Schule des Zen-Buddhismus bei. So kam er bereits früh zum Blatttee, welchen er zu seiner persönlichen Präferenz erhob.

Im Alter von 57 Jahren verließ er schließlich den Tempel und ging nach Kyoto. Dort sollte er fortan das Leben eines Bettelmönchs führen. Mit 2 an einem Stab hängenden Flechtkörben geschultert, bewanderte er die Straßen Kyotos. An Sehenswürdigkeiten und anderen Knotenpunkten ließ er sich nieder, um Tee zuzubereiten und ihn Passanten gegen Almosen anzubieten. Den von ihm gereichten Tee erachtete er als für arm und reich gleichermaßen würdig. Vor seinen Stand stellte er ein Schild mit der Aufschrift:

„The price of tea is anything from 2,000 koban to a half mon. It’s okay if you want it for free, but I can’t sell it for less than free.”

Trotz seines Faibles für die gewöhnlichen Menschen übte Baisao große Anziehungskraft auf die kreative Elite des Kyotos seiner Zeit aus. Namhafte Literaten, Künstler und Philosophen suchten seine Nähe und lauschten den Rezitationen, die Baisao zum Tee zu halten pflegte. Sie waren es letztlich wohl auch, die Baisao’s Tee und Lehren zu ihrer enormen Reichweite verhalfen.

Baisao’s Tee war anfangs noch der gedämpfte, aber noch nicht gerollte Blatt-Tee der Zeit Ingen Ryuuki’s. Dies änderte sich im Jahr 1742, nach einem Besuch Baisao’s bei Nagatani Soen. Es ist überliefert, dass Baisao in jener Nacht in Nagatani Soen’s Haus schlief, nachdem die beiden sich einen ganzen Tag lang über Tee ausgetauscht hatten.

Mit 70 Jahren legte Baisao die Mönchsrobe ab und nahm den bürgerlichen Namen Ko Yugai an. Seine Lebensweise als Tee gegen Almosen tauschender fahrender Händler behielt er bis zum Alter von 82 Jahren bei. Während dieser Zeit wuchs der Bekanntheitsgrad des Sencha-Tees in Japan mit Baisao’s Ruf. Dieser verbrannte kurz vor seinem Tod im Jahr 1761 schließlich seine gesamten Tee-Utensilien. Nach eigenem Bekunden gedachte er mit dieser Handlung der Entstehung eines der Matcha-Zeremonie ähnlichen „Sencha-Do“-Kults entgegenzuwirken.

Entwicklung der Teekultur in Japan – Baisao, Vater der Sencha-Do

Auszug aus

„Drei Verse über das Leben eines Teeverkäufers“

I’m not Buddhist or Taoist

not a Confucianist either

I’m a brownfaced whitehaired

hard up old man.

people think I just prowl

the streets peddling tea,

I’ve got the whole universe

in this tea caddy of mine.

Seventy years of Zen

got me nowhere at all

shed my black robe

became a shaggy crank,

now I have no business

with sacred or profane

just simmer tea for folks

and hold starvation back.

4.3. Die Beschattung von Teesträuchern – Tencha, Kabusecha, Gyokuro

„Süße“ und „Umami“ sind Begriffe, welche die geschmacklichen Präferenzen der Japaner am besten beschreiben. Hierin hat eine ganze Reihe von Maßnahmen zur Einflussnahme auf das natürliche Wachstum der Teesträucher ihren Ursprung. Eine dieser Maßnahmen ist die Beschattung der Teesträucher während ihrer Haupt-Wachstumsphase im Frühjahr.

Im Zuge seines Wachstums produziert der Teebusch Aminosäuren, die er im Frühling verstärkt in die Entwicklung junger Knospen treibt. Wenn nun Sonnenlicht auf die Teepflanze trifft, setzt ein Photosynthese-Prozess ein, der diese Aminosäuren in Katechine umwandelt. Während die Aminosäuren nun grundsätzlich zu einem süßen Umami-Geschmack beitragen, schmecken Katechine eher bitter. Das heißt, je mehr Sonnenlicht der Pflanze entzogen wird, desto weniger Aminosäuren werden in Katechine umgewandelt und desto süßer und „umami“ schmeckt der resultierende Tee.

Bereits zu Zeiten von Togano’o hatten sich die Vorzüge einer Beschattung der Teesträucher für den Geschmack des Tees herauskristallisiert. Seinerzeit hatte diese Erkenntnis die Ausweitung des Teeanbaus vor dort über die gesamte Uji-Region ermöglicht. Den Tencha in seiner heutigen Form ermöglichte aber erst die Verfeinerung und Weiterentwiclung der Beschattungstechnik durch Kakei Yamamoto im Jahr 1835. Nur 6 Jahre später entwickelte Eguchi Shigeyuro schließlich eine Technik zum Rollen der Tencha-Blätter und nennt das Ergebnis Gyokuro. Diesen wiederum unterscheidet vom „Kabusecha“ einerseits eine längere Bechattungsperiode und andererseits ein höherer Beschattungsgrad.

Entwicklung der Teekultur in Japan - Traditionelle Stroh- und Schilfmattenüberdachung von Teegärten in Japan
Entwicklung der Teekultur in Japan – Traditionelle Stroh- und Schilfmattenüberdachung von Teegärten in Japan

5. Modernisierung des Teeanbaus in Japan

Ab 1859 bringen die Öffnung der großen Handelshäfen Japans für den Export nach Westen und hierauf folgende Handelsverträge mit den USA, Niederland, Russland, Großbritannien und Frankreich bringen japanischen Grüntee auch nach Europa. Dort macht die Nachfrage ihn neben Seide schon bald zum stärksten Exportprodukt Japans.

5.1. Mechanisierung und Automatisierung der Teeproduktion in Japan

5.1.1. Entwicklung der Pflücktechnik

Ab Beginn des 20. Jahrhunderts lösen Entwicklungen im Bereich der Pflücktechnik die traditionelle Handpflückung zunehmend ab. So liegen zwischen der Patentierung der ersten Pflückschere im Jahr 1913 und dem Marktgang der ersten handgehaltenen elektrischen (1-Personen-) Pflückmaschine keine 50 Jahre. Die 1971 eingeführte, von 2 Personen gehaltene Pflückmaschine erzielt schließlich bereits das 60-fache des Ertrags zweier (Hand-) Pflücker.

In den klassischen Teeanbauregionen bleibt die beschriebene Entwicklung in der Pflücktechnik nicht ohne soziale Auswirkungen. So verdrängt sie beispielsweise den Brauch, dass Frauen zur Pflückzeit für einige Wochen in die Teeberge zu gehen pflegten. Weiter hat die einschlägige technische Entwicklung auch strukturelle Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt. Denn der weitgehende Wegfall des Bedarfs an Pflückern begünstigt die Abwanderung von Arbeitskräften aus ländlichen Gebieten in die Städte.

Ein Nachteil der mechanisierten Pflückung ist der Wegfall des menschlichen Urteils und der hieraus resultierenden Selektivität. Entsprechend leider unter der Automatisierung der Pflückung letztlich auch die Qualität des Tees. Deshalb pflücken Teemeister für Wettbewerbszwecke gedachte Teeblätter auch heute noch bevorzugt von Hand.

Entwicklung der Teekultur in Japan - Mechanisierte Teepflückung : Handgehaltene 2-Personen-Pflückmaschine / Pflücktraktor
Entwicklung der Teekultur in Japan – Handgehaltene 2-Personen-Pflückmaschine / Pflücktraktor
5.1.2. Entwicklung der Verarbeitungstechnik

Parallel zur Pflücktechnik entwickelt sich während des 20. Jahrhundert auch die Verarbeitungstechnik von Tee in Japan. Bereits 1885 patentiert Kenzo Takabayashi (8132-1901) die erste Maschine zum Dämpfen und Rollen von Teeblättern. Das Patent für eine Maschine zur Trocknung derselben folgt auf dem Fuße. Heute sind Fertigungslinien für grünen Tee in Japan vollautomatisiert. Entsprechend entfällt auch in diesem Bereich weitestgehend das menschliche Urteil.

Eine Folge der technischen Entwicklung in der Pflück- und Verarbeitungstechnik ist der weitgehende Wegfall von Welkphasen in der Verarbeitung. Diese waren früher praktisch unvermeidbar. Denn zum einen mussten frisch gepflückte Teeblätter häufig zu Fuß über weite Distanzen vom Teeberg zur Verarbeitungseinrichtung gebracht werden. Und zum anderen konnte die Verarbeitung von Hand nur in kleinen Chargen erfolgen. Entsprechend mussten Teeblätter nach ihrer Ankunft in der Teefabrik immer eine Weile warten, bis sie dem Oxidationsstopp durch Erhitzen zugeführt werden konnten. Und da Welkprozesse beträchtlichen Einfluss auf den Geschmack des fertigen Tees haben, liegt auch hierin eine Quelle grundlegender Veränderung. 

Entwicklung der Teekultur in Japan - Mechanisierte Teeverarbeitung - schematische Darstellung
Entwicklung der Teekultur in Japan – Mechanisierung der Teeproduktion

5.2. Entwicklung von Agrochemikalien für verbesserte Anbaukontrolle

Seit Beginn des 20. Jahrhunderts leistet weiter die Entwicklung immer raffinierterer Agrochemikalien einen Beitrag zu drastischen Veränderungen in Japans Teeanbau. Zu nennen wären hier zunächst künstliche Düngemittel, deren hoher Stickstoffbehalt den erwünschten „Umami“-Geschmack des Tees begünstigt. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts treten dann zusätzlich sog. „Pestizide“ auf den Plan. Dabei handelt es sich um einen Oberbegriff für Mittel zur Bekämpfung von „Schädlingen“ aller Art. Das heißt, Insektizide gegen Insektenfraß, Fungizide gegen Pilzbefall und Herbizide gegen den Wuchs von „Unkraut“.

Der große Vorteil des Einsatzes von Agrochemikalien ist das durch sie ermöglichte hohe Maß an Anbaukontrolle. So können Düngemittel dem Boden Stoffe zuführen, die sowohl das Wachstum des Teestrauchs als auch den Geschmack des resultierenden Tees in gewünschter Weise begünstigen. Und der Einsatz von Pestiziden schützt den Teebauern vor drastischen Ertragsausfällen durch Schädlingsbefall.

Ein Nachteil ist dabei die langfristige Anreicherung der zugeführten Stoffe im Boden und im Grundwasser. Eine weitere unerwünschte Nebenwirkung von Agrochemikalien sind die mit ihrer Verwendung für den Teebauern und seine Arbeitskräfte verbundenen gesundheitlichen Risiken. Außerdem ist der Verbleib von Pestizidrückständen an und im Teeblatt bei deren Einsatz letztlich unvermeidlich. Die Folge hiervon sind kaum kalkulierbare gesundheitliche Risiken auch für den Endverbraucher, sprich: den Teetrinker.       

Moderne Überdachung / Einhausung von Teepflanzen : Plastik statt Schilf- und Strohmatten
Entwicklung der Teekultur in Japan – Moderne Überdachung / Einhausung von Teepflanzen : Plastik statt Schilf- und Strohmatten

5.3. Ersetzen nativer Teepflanzen durch Kultivare

5.3.1. Native Teepflanzen und Kultivare

Native Teepflanzen sind Produkte des Zusammenspiels zwischen ihrem jeweiligen Erbgut und dem Terroir, in dem sie aufwachsen. Dabei können die einzelnen durch natürliche Reproduktion per Samen entstehenden „Individuen“ durchaus abweichende Eigenschaften entwickeln. Diese wiederum können – unter geschmacklichen Gesichtspunkten – mehr oder weniger wünschenswert sein. So vertreiben Teebauern in Yunnan beispielsweise den aus den Blättern eines einzelnen Teebaumes hergestellten Tees als „Danzhou“. Zur Abgrenzung einzelner Bäume des gleichen Teegartens voneinander erhält dabei jeder Baum eine Nummer.

Wenn ein nativer Teebusch besonders wünschenswerte Eigenschaften hat, liegt es nahe, diese Eigenschaften in seinen Nachkommen zu erhalten. Dies ist möglich via asexuelle Vermehrung, das heißt, nicht durch den Samen, sondern durch Ableger. Denn die so entstehenden Klone sind genetisch zu 100% identisch mit der Mutterpflanze. Die Vorteile solcher Teebüsche mit geteilten Merkmalen und Eigenschaften – sog. „Kultivaren“ – liegen dabei auf der Hand. Zum einen erhält der Teefarmer auf diese Weise ein Produkt mit bestimmten, von den Käufern als wünschenswert erachteten Merkmalen. Und zum anderen lassen sich auf diese Weise viel mehr Abkömmlinge eines Teebuschs in viel kürzerer Zeit erzeugen. Denn während ein nativer Teebusch etwa 7 Jahre bis zur Pflückreife benötigt, sind es bei Ablegern nur 2.

Was auf den ersten Blick wie ein Segen des Himmels erscheinen mag, hat allerdings auch seine Schattenseiten. Eine davon ist die unterschiedliche Art der Wurzelbildung. Während die Wurzeln nativer Teebüsche bis zu 2 Meter tief in die Erde hineinwachsen, verästeln die Wurzeln von Ablegern horizontal. Entsprechend bleiben sie bei einer max. Tiefe von um 40cm letztlich immer knapp unter der Oberfläche. Sie sind deshalb um einiges pflegebedürftiger als native Teepflanzen, was Bewässerung und konkurrierende Gräser und „Unkräuter“ betrifft. Außerdem sind sie um ein Vielfaches anfälliger für Klimaveränderungen und Extremwetterereignisse.

Wurzelentwicklung von per Ableger vermehrten Kultivaren im Vergleich zu vom Samen gewachsenen Teepflanzen
Entwicklung der Teekultur in Japan – Unterschiede in der Wurzelentwicklung zwischen von Ablegern und vom Samen gezogenen Teebüschen

Der Siegeszug der asexuellen Reproduktion von Teepflanzen über deren natürliche Vermehrung ist noch gar nicht so lange her. Tatsächlich wurden die Vorzüge des Klonens für den kommerziellen Teeanbau erst im Laufe des 20. Jahrhunderts entdeckt und erforscht.

5.3.2. Kultivare in Japans Teeanbau

In Japan geht die Schaffung eines nationalen Registrierungssystems für Teekultivare auf eine Initiative des Landwirtschaftsministeriums im Jahr 1953 zurück. Seitdem wurden insgesamt 61 Kultivare registriert. Von diesen spielen allerdings nur einige wenige eine signifikante Rolle in Japans Teeanbau. Andererseits ist die Registrierung eines Kultivars nicht Pflicht, so dass auf einzelnen Teefarmen sowie regional begrenzt weitere Kultivare in Verwendung sind.

Während der 60er Jahre betrieb die japanische Regierung die Entwicklung eines pragmatischen Standards zur Reproduktion von Kultivaren durch Ableger. Aufgrund der kommerziellen Überlegenheit der Methode verwendeten bereits in den 70ern alle neu angelegten oder neu bepflanzten Teegärten Kultivare. Und bis 1980 ersetzten Kultivare die nativen Teepflanzen in der überwiegenden Mehrheit der Teegärten Japans. Wobei es tatsächlich nicht KultivarE sind, die seitdem Japans Teeanbau dominieren, sondern vornehmlich EIN Kultivar… „Jabukita“.

5.3.3. Jabukita

Im Jahr 1908 kultivierte der Teefarmer Sugiyama Hikosaburo (1857-1941) nördlich des in seinem Teegarten gelegenen Bambushains einen Kultivar, der sich als besonders schnellwüchsig, widerstandsfähig und ertragreich erwies. Er benannte den Kultivar nach dem Ort dessen ursprünglicher Kultivierung, „Jabukita“ = „nördlich des Bambushains“. Derselbe Teefarmer war es auch, der infolge dieser Entdeckung herausfand, dass genetische Eigenschaften sich bei asexueller Reproduktion besser auf die Nachkommen übertragen als bei der Vermehrung über den Samen.

1945 erhielt der Jabukita-Kultivar den Status einer Empfehlung der japanischen Regierung an die Teefarmer Shizuokas. 1953 schließlich erfolgte seine offizielle Registrierung als Kultivar #6 in Japans Registrierungssystem für Teekultivare. Seitdem verbreitet der Jabukita-Kultivar sich über ganz Japan, wo er zu Hochzeiten (90er) 77% aller Teepflanzen des Landes stellt. Inzwischen fungiert der Jabukita-Kultivar außerdem als offizieller Vergleichsmaßstab für die Einstufung anderer Kultivare in der Kategorie „Zeit zur Pflückreife“.

 5.3.4. Etablierung und Registrierung neuer Kultivare

Ursprünglich erfolgte die Auswahl von Kultivaren mit wünschenswerten Eigenschaften aus Teegärten mit nativen Teepflanzen. Inzwischen sind Kultivare aber häufig durch künstliche Kreuzung in Form und Eigenschaften herausragender Abstammungslinien erzeugte „Laborprodukte“.

Die Registrierung eines Teekultivars in Japan beinhaltet die Durchführung bestimmter Tests nach einem festgelegten Schema. Auf Basis der Ergebnisse dieser Tests erfolgt die Bewertung bestimmter Eigenschaften wie Widerstandsfähigkeit, Ertrag, Zeit-zur-Pflückreife, Anzahl der jährlichen Pflückperioden, usw. Außerdem erfolgt eine Einstufung des Kultivars nach seiner Eignung für die Herstellung von Sencha, Kamairicha, Gyokuro/Tencha und/oder Schwarzer Tee. Abschließend erfolgt die geschmackliche Bewertung des resultierenden Tees. Die hierzu herangezogenen Kriterien sind „Adstringenz“, „Umami“, „Bitterkeit“, „Süße“, „Aroma“, „Aufgussfarbe“ und „Erscheinungsbild“ (des trockenen Teeblatts).

5.4. Vereinheitlichungstendenzen und „Naturferne“   

Insgesamt haben die Mechanisierung und Automatisierung der Pflück- und Verarbeitungsprozesse, der Einsatz von Agrochemikalien und das Ersetzen nativer Teepflanzen durch Kultivare, in der Hauptsache Jabukita, das Bild des Teeanbaus in Japan im Laufe des 20. Jahrhunderts drastisch verändert. Dabei hat insbesondere die japanische Vorliebe für „Süße“ und „Umami“ eine Tendenz zur Vereinheitlichung des japanischen Grüntees bewirkt. Weiter fällt dessen zunehmende Entfremdung von dem einstigen Naturprodukt durch die hochtechnisierten und nach Marktvorgaben gesteuerten Prozesse ins Auge. So kann man den an rücksichtsloser Ertragsmaximierung orientierten konventionellen Teeanbau in der zweiten Hälfte des zweiten Jahrtausends als regelrechten Umweltsünder erachten.  Ein Beispiel hierfür wäre die Rodung von Waldflächen für die Kultivierung auf eine pflückfreundliche Höhe von 40cm zurückgestutzter Teebüsche. Ein weiteres Beispiel ist die Verunreinigung der Böden und des Grundwassers durch die verwendeten Agrochemikalien

6. Aktuelle Entwicklung der Teekultur in Japan

6.1. Diversifizierung des Produktportfolios

Auf der positiven Seite haben die massiven Ertragssteigerungen eine weit über die Grenzen Japans hinausgehende Omnipräsenz japanischer Grüntees in Produkten ermöglicht. Das heißt, japanischen Grüntee und Matcha-Pulver findet man heute auf dem Weltmarkt längst nicht mehr nur in Reinform. Stattdessen haben sie sich als – gesunde – Zutat zu einer Vielzahl von Lebensmitteln etabliert, reichend vom Lutschbonbon bis hin zur Backmischung. Typischerweise sind es dabei eher mindere und entsprechend kostengünstige Tee-Qualitäten, die für solche Zwecke Verwendung finden.

Aber auch im klassischen Bereich des japanischen Blatt- und Matcha-Tees setzt Japan inzwischen auf stärkere Diversifizierung, So beobachten wir beispielsweise eine Erweiterung des Portfolios gepflegter Verarbeitungskategorien, z. B. in den Bereichen schwarzer Tee und Oolong-Tee. Und auch bei den Kultivaren tut sich etwas… Denn nach dem Ende des für japanische Teekultivare typischen Produktivitätszyklus (30-45 Jahre) weichen inzwischen immer mehr Jabukita-Pflanzen anderen Kultivaren.

6.2. Technische Entwicklung

Gleichzeitig sehen wir im Japan des beginnenden 21 Jahrhunderts die Entwicklung immer intelligenterer Maschinen. So stehen die modernsten Pflückmaschinen dem menschlichen Auge in der Unterscheidung von Blattqualitäten nur noch wenig nach. Und die Fertigungslinien erlauben eine immer detailliertere Kontrolle der Parameter jedes einzelnen Prozessschrittes.

6.3. Ökologischer Teeanbau

Weiter nehmen mit zunehmendem Bewusstsein für Umwelt- und Klimaschutz auf Verbraucher- wie auf Erzeugerseite die Bestrebungen um einen ökologischeren Teeanbau gerade in jüngster Zeit drastisch zu. So sind viele der auf dem westlichen Markt erhältlichen japanischen Grüntees biozertifiziert. Und auch die (japanischen) JAS-Standards für grünen Tee sind inzwischen weitgehend auf Augenhöhe mit den entsprechenden EU-Standards.

6.4. Internationale Renaissance der alten japanischen Teekultur

Parallel zu den beschriebenen Tendenzen erleben wir zu Beginn des 21 Jahrhunderts eine Art Renaissance des klassischen japanischen Teekultur. Dabei bleibt das Phänomen nicht auf Japan beschränkt. Auch in vielen Ländern der westlichen Welt erfreuen die verschiedenen Spielarten des japanischen Tees sich unter Teefreunden wachsender Beliebtheit. Gleichzeitig findet auch die rituelle Teezubereitung durch das Internet zu einem bis dato unerreichten Grad der Verbreitung.

Immer mehr Menschen verstehen, dass Tee erfahren und erleben weit über das bloße oberflächliche Geschmacksempfinden beim Genuss des Tees hinausgeht. Vielmehr ist es die faszinierende und grenzenlos vielseitige Welt, die der Tee um sich herum erschafft, zu dessen Erforschung der Teefreund von heute sich berufen fühlt.

Empfehlung zum Thema „Entwicklung der Teekultur in Japan“

Der Anbieter Tea Crane und sein Betreiber Tyas Sösen haben sich auf ein Angebot an japanischen Sencha-Tees spezialisiert, die unbenommen von den im Artikel dargestellten Entwicklungen der letzten etwa 100 Jahre nicht nur ohne die Verwendung jeglicher Agrochemikalien kultiviert werden, sondern darüber hinaus auch in authentischster Form die Art von Sencha-, Kabusecha- und Gyokuro-Tee repräsentieren, wie er vor der Industrialisierung des Teeanbaus in Japan typisch war. So werden selbst erfahrende Liebhaber japanischer Grüntees hier noch geschmackliche Dimensionen desselben entdecken, die ihnen bisher vielleicht verborgen geblieben sind.

Der Siam Tee Shop hat deshalb ein Kooperation mit Tyas Sösen eine Reihe von Perlen aus dem Angebot von Tea Crane ausgewählt. Diese findet ihr nun im Siam Tee Shop – und zum Ausprobieren im einschlägigen Box-Format:

Der Tea Crane Sampler im Siam Tee Shop