Wie wir in der vorangehenden Lektion 10.1. festgestellt haben, ist die chinesische Teekultur die Mutter aller Teekulturen. Entsprechend betrachtet die vorliegende Lektion die Entwicklung der Teekultur in China von deren Ursprüngen an bis in die heutige Zeit.
1. „Shennong“-Legende von der Entdeckung des Tees
Die chinesische Legende über die Entdeckung von Tee als Getränk spielt an einem Schönwettertag im Jahr 2737 v. Chr. Ihr Hauptdarsteller ist ein chinesischer „Kaiser“ namens Shennong. Dieser saß eines Tages im kaiserlichen Palastgarten, als der Wind ein Blatt von einem Teebaum genau in seine mit Wasser gefüllte Schale wehte. Das Ergebnis entpuppte sich bei Verkostung als schmackhaft und zeigte eine angenehm belebende Wirkung. Und Shennong nutzte fortan seine kaiserliche Stellung, um den Tee als Getränk unter seinen Untertanen zu propagieren. Soweit die Legende…
Zunächst einmal bedeutet der Name Shennong so viel wie „Göttlicher Farmer“. Einige Quellen bezeichnen ihn auch als „Herrscher der 5 Samenkörner“. So weisen die historischen Belege eher auf einen frühzeitlichen Heilkundigen, Kräuter- und Agrarforscher hin als auf einen „Kaiser“.
Die genauen Tatsachen und Einzelheiten rund um die Person Shennong verschwinden letztlich im Nebel der Zeit. Allerdings scheint die Geschichte um den Anfangspunkt der Teekultur in China doch zumindest einen „wahren Kern“ zu haben. Denn es existieren Hinweise darauf, dass eine Person mit dem Namen Shennong zur fraglichen Zeit tatsächlich existiert hat. Diese wird als Vater der Kräuterheilkunde und des landwirtschaftlichen Anbaus weit über die Grenzen Chinas hinaus verehrt. So beispielsweise auch in Vietnam, Taiwan und Japan, wo jeweils Shennong geweihte Tempel zu finden sind.
Ein frühes chinesisches Werk über Heilkräuter, das Shennong Beng Cao Jing wurde zwar erst lange nach seiner Zeit kompiliert. Die Inhalte gehen aber angeblich auf mündliche Überlieferungen Shennongs zurück.
2. Erster physischer Nachweis des Gebrauchs von Tee
Lange Zeit waren schriftliche Belege aus dem 3. und 4. Jahrhundert n. Chr. die ersten Nachweise des Konsums von Tee. Dass Teeblätter in China auch schon deutlich früher entweder genossen oder für medizinische Zwecke verwendet wurden, ist nach einem Fund des ältesten existierenden Tees der Welt inzwischen aber ebenfalls erwiesen. Beilagen im Grab des vierten Herrschers der Han-Dynastie, Liu Qi, und seiner Frau enthalten nebst anderem erwiesenermaßen auch Teeblätter. Das Phänomenale an dem Fund ist, dass der dort bestattete Herrscher zwischen 188 und 141 v.Chr. lebte. Der älteste bisherige Teeblätter-Fund fällt dagegen erst in die Zeit der Tang-Dynastie (618-907 n. Chr.).
3. Tee als Medizinkraut in der traditionellen chinesischen Heilkunde
However, that Liu Qi and seine Zeitgenossen ihren Tee auch zu Genusszwecken konsumiert haben, ist allerdings zweifelhaft. Stattdessen weist vieles darauf hin, dass Teeblätter zu Zeiten der Han-Dynastie (206 v. Chr. – 220 n. Chr.) zwar bereits Verwendung fanden, dies aber vor allem als Heilkraut, also zu medizinischen Zwecken. Auch goss man sie zu solchen Zwecken seinerzeit nicht etwa mit heißem Wasser auf. Vielmehr verspeiste man sie oder gab sie als Zutat zu einem (Arzeinmittel-) Sud hinzu. Verwendung fanden seinerzeit hierzu überdies auch nicht etwa verarbeitete, sondern frisch gepflückte Teeblätter.
4. Anfänge des Teegenusses in China
Dennoch lässt der Grabfund, nebst späteren schriftlichen Erwähnungen des Tees aus Zeiten der Han-Dynastie, zumindest vermuten, dass Tee auch zu dieser Zeit bereits als Genussmittel bekannt und als solches dem kaiserlichen Hof und der Adelskaste vorbehalten gewesen sein könnte.
Etwa ab dem 2. oder 3. Jahrhundert n. Chr. wurde Tee in China dann – ob nun zu medizinischen oder zu Genusszwecken – auch angebaut. Anschließend erfuhr die Popularität von Tee als Getränk – und somit die Teekultur in China – während des 4. und 5. Jahrhundert einen rasanten Anstieg. Anbau- und Verarbeitungstechniken wurden verfeinert und weiterentwickelt. Der Teegenuss als Brauch setzte sich in immer weiteren Kreisen der „besseren“ Gesellschaft Chinas durch. Zu dieser Zeit war es üblich, den Teeblättern zur Zubereitung eines Getränks Zutaten wie Reis, Salz, Gewürze und Orangenschalen hinzuzumischen.
5. Das “Goldene Zeitalter des Tees”
Die Zeit der Tang-Dynastie (618-907) gilt wird oft auch als das „Goldene Zeitalter des Tees“ bezeichnet. Sie stellt einen Meilenstein in der Entwicklung der Teekultur in China dar. Tee etablierte sich während dieser Zeit als wertvolles Geschenk oder Tauschmittel in den höchsten Kreisen. Das heißt, am kaiserlichen Hof, innerhalb des Adels, aber auch im internationalen Verkehr. Entsprechend war sein Genuss war nun nicht mehr rein medizinischen Zwecken vorbehalten, sondern wurde zunehmend auch um seiner selbst willen gepflegt.
Verarbeitungsstandard jener Zeit war das Pressen und Rösten grüner Teeblätter. Der so verarbeitete Tee, sozusagen die Urform des grünen Tee bzw. des Pu Erh Tee, wurde dann in der Regel zu Pulver gemahlen und mit gesalzenem oder anderweitig gewürztem kochendem Wasser aufgegossen. Allerdings entwickelten sich während dieser Zeit auch bereits erste Verarbeitungsvariationen, wie beispielsweise die Herstellung von gelbem sowie von weißem Tee. Weiter zeichnet sich hier auch erstmals eine Ritualisierung der Teezubereitung und des Teegenusses als Zeremonie oder Kunstform ab. Der Teegenuss blieb während dieser Zeit jedoch weiterhin höchsten gesellschaftlichen Kreisen und dem kaiserlichen Hof vorbehalten.
6. Lu Yu und das Cha Ching
Bis in die heutige Zeit erhaltenes Produkt der Teekultur Chinas in jener Zeit ist das literarische Werk „Cha Ching“. Autor des 760 erschienenen Buches ist der chinesische Tee-Gelehrte und später als „Tee-Heiliger“ in die Geschichte Chinas eingegangene Lu Yu (728-804). Dieser war als hochbegabtes Waisenkind am kaiserlichen Hof aufgenommen und erzogen worden. Später widmete er sein Leben und Werk dann der Erforschung des Tees und dessen Zubereitung. „Cha Ching“, ein historischer Meilenstein der Teekultur in China, bedeutet übersetzt in etwa „Das klassische Buch vom Tee“. In zehn kurzen Kapiteln behandelt der Autor praktisch alle wichtigen Aspekte der damaligen Teeherstellung und Teekultur. Entsprechend liest sich das Inhaltsverzeichnis seines Werks:
- Kapitel I: Ursprünge des Tees
- “ II: Gerätschaften zum Lesen und zur Verarbeitung der Teeblätter
- “ III: Herstellung des Tees
- “ IV: Gerätschaften zur Zubereitung des Tees
- “ V: Aufgießen des Tees
- “ VI: Wie man Tee trinkt
- “ VII: Tee in den alten Texten
- “ VIII: Anbaugebiete der Spitzentees
- “ IX: Verschiedenes
- “ X: Übersicht zu dem Werk
Ist es nicht eine gelungene Ironie, dass ein Buch über Tee aus dem Jahr 760 AD ein Kapitel mit dem Titel „Tee in den alten Texten“ enthält? Nun, eine „alte Zeit“ gibt es wohl aus der Perspektive einer jeden „Neuzeit“…
7. Die Erfindung des „Matcha“-Tees
Die Song-Dynastie (960-1279) brachte eine neue Zubereitungsvariante der bis dahin mit kochend heißem Wasser aufgegossenen, zu feinem Pulver zermahlenen Teeblätter mit sich: das Aufschäumen. Im Grunde genommen sehen wir hier die Geburtsstunde des Matcha-Tees. Denn wie eigentlich alle Varianten und Verarbeitungskategorien des Tees verdanken wir auch diesen der Entwicklung der Teekultur in China.
Aus heutiger Sicht mag es so erscheinen, als sei der Matcha-Tee eine japanische Erfindung. Denn der moderne Matcha-Markt wird von japanischen Produkten dominiert, Matcha-Tee ist der Tee der japanischen Teezeremonie, und Matcha wird uns als DAS Volksgetränk Nr.1 in Japan vorgestellt. Tatsächlich wurde in China aber bereits zu Zeiten der Tang-Dynastie feines grünes Teepulver nicht nur mit dem Bambusbesen aufgeschlagen, sondern auch bereits auf die gleiche Weise aus von Stängeln und Blattrippen befreiten Tencha-Blättern hergestellt, wie wir dies heute aus Japan kennen.
Die Verarbeitung von Tencha zu feinem Pulver (chin.: „Mocha“) und das Aufschlagen desselben in heißem Wasser kam in China aber bald wieder aus der Mode. Auch wenn pulverisierter grüner Tee in China auch heute noch – oder vielmehr: wieder – hergestellt wird, spielt er dort spätestens seit dem Aufkommen und Siegeszug einer völlig neuen Zubereitungsmethode, nämlich des Aufgießens ganzer Teeblätter, keine nennenswerte Rolle mehr.
8. Tee wie wir ihn kennen
Das 13. Und 14. Jahrhundert sahen einen der wichtigsten Meilensteine der Entwicklung der Teekultur in China: die Erforschung der Oxidationsprozesse und ihrer Auswirkungen auf den Tee und seinen Geschmack. Logische Folge war die Entwicklung von Methoden der Verarbeitung von schwarzem Tee sowie von Oolong-Tee. Das chinesische 6-Kategoriensystem der Klassifikation der Teesorten, wie wir es heute kennen, war damit komplett. Außerdem führten die neuen Verarbeitungsmöglichkeiten zu einer weiteren, potentiell praktisch grenzenlosen Diversifizierung des chinesischen Tee-Portfolios.
Zu Zeiten der Ming-Dynastie (1368-1644) setzte sich dann die bis heute gebräuchliche Methode der Teezubereitung durch: das Aufgießen ganzer Teeblätter. Die praktischen Anforderungen der neuen Zubereitungsmethode brachten auch die Entwicklung eines neuen „Instruments“ mit sich, der Teekanne. Ein interessantes Datum in diesem Zusammenhang ist die Herstellung des ersten Yixing-Teekännchens im Jahr 1492.
9. Teehäuser und Teestuben
Mit steigender Popularität von Tee als Getränk kamen in China zunehmend die Teestuben und Teehäuser auf. Man traf sich dort nicht nur zum Teetrinken, sondern debattierte alle Arten von Problemen und Belangen, ob persönlicher, gesellschaftlicher oder politischer Natur. Entsprechend spielten die Teehäuser eine wichtige Rolle bei der Diffusion des Teegenusses in der breiteren chinesischen Bevölkerung.
10. Die chinesische Teezeremonie
Parallel zur Entwicklung der Teezubereitung in Form des Aufgießens ganzer Blätter – und parallel zum Aufkommen des Oolong-Tees – entwickelte sich die chinesische Teezeremonie oder „Gong Fu Cha“. Diese gilt heute als eines der stärksten sichtbaren Symbole der chinesischen Teekultur. Sie besteht in der fokussierten und bis zu einem gewissen Grad ritualisierten Zubereitung von Oolong-Tee über mehrere Aufgüsse. Im Mittelpunkt steht dabei traditionell die Zubereitung eines Oolong-Tees. Gerade in jüngerer Zeit erfolgt jedoch auch die Zubereitung anderer Teesorten immer häufiger in einem rituellen oder zeremoniellen Rahmen.
Die Chinesen verstehen ihre Teezeremonie allerdings weniger als festes Ritual als vielmehr als einen flexiblen und individuellen Prozess. Anders als die japanische Teezeremonie unterliegt die chinesische Teezeremonie deshalb keinem festen Regelwerk. Entsprechend kann sie auch recht unterschiedlichen Zwecken dienen. Hierzu gehören Show-Zwecke, soziale Anlässe aller Art, meditative Zwecke oder auch einfach nur die Zubereitung des bestmöglichen Tees. Aufgrund der unterschiedlichen regionalen Prägung der Teekultur in China ist auch die Teezeremonie nicht landesweit einheitlich. Vielmehr zeigt sie je nach Region verschiedene Gesichter und bedient sich unterschiedlicher Instrumente.
Übrigens, um den im eigenen Land produzierten Tee alle zu trinken, braucht China den Rest der Welt, also beispielsweise uns, eigentlich nicht. So wurden beispielsweise von den im Jahr 2014 produzierten rund 2 Mio. Tonnen Tee – fast die Hälfte der Welt-Teeproduktion – lediglich ca. 200.000 Tonnen exportiert. Den Rest trinken die Chinesen nicht nur selbst, sondern importieren darüber hinaus auch noch Tee aus Taiwan und einigen weiteren Ländern.
Wie es weitergeht…
Von China aus verbreitete die Teekultur sich weiter über den asiatischen Kontinent. Mit den bedeutendesten der im Zuge dieser Verbreitung entstandenen Teekulturen beschäftigt sich Lektion 10.3. – „Verbreitung der Teekultur in Asien“.
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