23.11.2018
Bereits seit einer Weile „geistert“ ein Begriff durch die Tee-Literatur, dem man auch auf meinen Seiten während der letzten Jahre immer häufiger begegnet. Nun stelle ich mir jedes Mal, wenn ich „Artisan-Tee“ schreibe, die Frage, inwieweit die Vorstellung des Lesers von diesem Begriff sich wohl mit der meinigen deckt. Gefragt hat mich hiernach interessanterweise noch niemand. Aber wir haben uns wohl nur allzu sehr daran gewöhnt, mit wohlklingenden, werbewirksamen Begriffen bombardiert zu werden. So sehr, dass wir uns die Frage, ob ein solcher Begriff denn überhaupt etwas bedeutet, und wenn, dann was, häufig gar nicht mehr stellen.
Wo ich den Begriff „Artisan-Tee“ verwende, geht es mir jedoch nicht um den Werbeeffekt, jedenfalls nicht in erster Linie. Stattdessen meine ich etwas ganz Bestimmtes mit diesem Begriff, und was genau das ist, möchte ich in diesem Artikel erläutern. Hierbei ist es zum einen meine Absicht, das Verständnis des geneigten Lesers für meine Ausführungen zu erhöhen. Zum anderen halte ich das Konzept „Artisan-Tee“ für ein essentielles Kriterium der Trennung zweier grundsätzlich unterschiedlicher Welten innerhalb der Welt des Tees. Denn am anderen Ende der Skala, an deren einem Ende der Artisan-Tee steht, steht der Massen-Tee.
Artisan-Tee des Latumoni Teegartens in Assam
Was ist Artisan-Tee?
Eigentlich kann ich meine Definition von Artisan-Tee in einem einzigen kurzen Satz formulieren:
Artisan-Tee ist von Meisterhand erzeugter Tee bestmöglicher Qualität.
Lasst uns nun einen näheren Blick auf die einzelnen Teile dieses zunächst doch recht banal anmutenden Satzes werfen:
Meister
Das in hohem Maße definitorische Attribut gibt an, dass ein Artisan-Tee immer von einem Meister geschaffen wird. Ein Meister ist dabei eine Person, die sowohl über umfangreiches Wissen als auch über langjährige Erfahrung in der Teeerzeugung verfügt.
von Hand
Auch die „Erzeugung von Hand“ ist eines der essentiellsten Kriterien für Artisan-Tee. Hierbei steht an einem Ende der Skala die vollständig automatisierte Fertigung. Diese beginnt mit der Einstellung der Düngung des Bodens und reicht über die maschinelle Pflückung bis zur Einspeisung des Blattguts in einen vollautomatischen Verarbeitungsprozess, an dessen Ende das fertige Teeprodukt steht. Einen Meister braucht es hierfür nicht, eher einen versierten Techniker…
Am anderen Ende der Skala steht ein durchgängig manueller Prozess, der sich über den gesamten Zyklus von Anbau, Pflückung und Verarbeitung erstreckt. In Reinform wird man diesen heute nur noch selten finden. Was wir dagegen sehr häufig finden, sind Mischformen aus den beiden. Nach meinem Dafürhalten immer noch als Artisan-Tee gelten können Tees, deren einzelne Verarbeitungsschritte zwar von maschinellen Vorrichtungen unterstützt, als Einheit jedoch jeweils der Überwachung und Steuerung durch einen Meister unterliegen.
erzeugter
Erzeugen meint hier mehr als nur das Verarbeiten eines wie auch immer gearteten Blattguts. Wie bereits weiter oben beschrieben, versteht „erzeugen“ sich hier als einen durchgängigen Prozess aus einer holistischen Perspektive. Welche Teepflanze? Welches Terroir? Welche Pflückung? Welcher Pfückstandard? Welcher Verarbeitungsmodus? Und so weiter… In der Regel werden es jahrhundertealte Gegebenheiten sein, welche diese Faktoren für einen Artisan-Tee vorherbestimmen.
Entsprechend wird ein Meister bei der Erzeugung eines Artisan-Tees all diese Faktoren zu berücksichtigen suchen. Im besten Fall baut er den Tee, den er verarbeitet, selbst an, und die Pflückung erfolgt nach seinen Vorgaben. Der Artisan-Prozess erfordert die Überwachung und Kontrolle jedes einzelnen Schritts im Werdegang eines Tees. Hierbei mag ein Standard gelten, dessen detaillierte Ausgestaltung aber jeweils an das Ergebnis jeder Prüfung durch den Meister angepasst wird. Deshalb wird ein solcher Tee auch nie zweimal genau der gleiche sein.
Tee
Nun ja, dass es sich bei einem Artisan-Tee um Tee im engeren Sinne, also reinen Tee der Camellia Sinensis, mag für die meisten Leser auf der Hand liegen. Dennoch der Vollständigkeit halber…
höchster Qualität
Dieses Attribut bedeutet, dass der Meister – unter Berücksichtigung aller oben genannten Faktoren und Gegebenheiten – den bestmöglichen Tee erzeugt.
Artisan-Tee vs. Massentee
Nach den obigen Ausführungen erscheint es beinahe müßig, die offensichtlichen Unterschiede zum Massen-Tee noch einmal zu erläutern. Zur Beschreibung des Massentees genügt es, die erwähnten definitorischen Eigenschaften in ihr sinngemäßes Gegenteil zu verkehren. Das heißt, der Standard ersetzt den Meister, die Maschine ersetzt die Hand, Automatisierung ersetzt Individualismus, Quantität ersetzt Qualität. So sind Umweltanforderungen für den Massentee-Hersteller beispielsweise nur insoweit relevant, wie sie gesetzlich vorgeschrieben und eingefordert werden. Für den Artisan-Tee dagegen sind sie ein fester Bestandteil des Qualitätskonzepts.
Am deutlichsten wird der Unterschied bei Gegenüberstellung der beiden jeweils zugrundeliegenden ökonomischen Prinzipien:
Der Artisan-Erzeuger möchte
den bestmöglichen Tee erzeugen, um mit diesem den höchstmöglichen Preis zu erzielen
Der Massentee-Erzeuger dagegen möchte
möglichst viel Tee möglichst billig produzieren
Beim Vergleich beider Prinzipien wird offenkundig: dass ihre jeweiligen Produkte grundsätzlich der Vergleichbarkeit entbehren. Darüber hinaus macht er noch auf einen anderen grundlegenden Unterschied zwischen Artisan-Tee und Massen-Tee aufmerksam. Namentlich deren quantitative Verfügbarkeit.
Der RARE Charakter von Artisan-Tees
Vorab, Artisan-Tees SIND rar. Wer die obigen Ausführungen gelesen hat, muss verstehen, dass es bei solchen Tees immer nur um Kilos geht, nie um Tonnen oder gar Container. Entsprechend gering sind die Auswirkungen der Artisan-Erzeugung auf unsere Umwelt. Hierzu trägt neben der geringen Menge in vielen Fällen auch eine vergleichsweise umweltfreundliche Einstellung des Artisan-Erzeugers bei. Anders ausgedrückt findet die Massenproduktion von Tee eher nicht in biodiversen Umfeldern statt.
Artisan-Tees sind deshalb immer nur begrenzt verfügbar. Da aber auch der Artisan-Erzeuger von seiner Arbeit und deren Produkten leben möchte, trägt die Knappheit solcher Tees weiter zu deren vergleichsweise hohen Preis bei. Entsprechend wird kein Artisan-Tee je in Einzelhandelsketten vertreten sein! Denn zuum einen sind sie nicht ausreichend verfügbar, um die Regale von deren Filialen zu füllen. Und zum anderen sind sie… der hier vertretenen Kundschaft schlichtweg viel zu teuer.
DAS Argument gegen Artisan-Tee
Befürworter des modernen Massentee-Anbaus führen im Rahmen einschlägiger Diskussionen immer ein „sehr gutes“ Argument gegen Artisan-Tees in Feld. Dass nämlich auf unserer Erde bei weitem nicht ausreichend Anbauflächen zur Verfügung stünden, wenn der Teebedarf der Welt mit Tees zu decken wäre, welche den Anforderungen eines Artisan-Tees genügen. Nun, damit haben sie natürlich völlig Recht. Aber die Frage ist ja eigentlich gar nicht, ob 5 Milliarden Menschen Artisan-Tee trinken können oder nicht. Die Frage ist vielmehr, ob WIR es können! Dem wiederum… steht eigentlich nicht das Geringste entgegen. Umso mehr spricht dafür…
In einer perfekten Welt…
Das Konzept des Artisan-Tees erinnert an den Traum von einer perfekten Welt. Im Sinne der Erhaltung unseres natürlichen Lebensraums stammen Teeblätter aus Wildpflückung oder biodiverser Kultivation. So kommt auch der gesamte Reichtum der Natur in den im Teeblatt enthaltenen Geschmacks- und Inhaltsstoffen zum Tragen. Gepflückt wird natürlich nur einmal im Jahr für kurze Zeit, dann, wenn der Gehalt an gesunden Inhaltsstoffen am höchsten ist. B-Qualitäten? Bleiben am Teestrauch! Der Meister, der die Pflückung überwacht, prüft jeden einzelnen Korb aufs Genaueste. Teeblätter, die seine Anforderungen nicht erfüllen, schaffen es gar nicht erst bis in die Teefabrik. Unbeeindruckt von ökonomischem Druck oder Zweifeln macht der Meiser sich dort schließlich an die Verarbeitung der frisch gepflückten Teeblätter. Hierbei ist ihm nichts zu viel, und nur wenig gut genug. Weil perfektes Timing bei der Teeverarbeitung alles ist, begleitet er jeden einzelnen Verarbeitungsschritt mit allen sieben (!) Sinnen. Denn er weiß, es gibt sie da draußen, die Menschen, die seine Arbeit honorieren und ihm einen stattlichen Preis für seinen meisterlichen Tee bezahlen werden.
Merkt ihr was? Genau, klingt wie im Märchen… Während es aber die perfekte Welt – wahrscheinlich – nicht gibt, kommen viele Artisan-Tees dem Ideal doch zumindest nahe. Und erst einmal in der Schale, bedarf ein solcher Tee dann weder Philosophie noch Esoterik, um wie ein heller Stern zu strahlen. Denn es ist genau hier, wo das vielzitierte gefügelte Wort „mit allen Sinnen genießen“ zur greifbaren Realität wird. Optik, Haptik, Duft und Geschmack werden im Artisan-Tee zur Komposition… und damit zum Kunstwerk.
Übrigens, eine einschlägige Liebe zur Kunst pflegt mit einer besonders kostbaren Sammlung wertvoller Artisan-Tees aus verschiedenen Herkunftsländern der