Was ist eigentlich Tee?, Teil 2
Yunnan – Die Wiege des Tees?
Als Ursprungsort der Teepflanze wird allgemein die südchinesische Provinz Yunnan genannt. Diese ist bis heute berühmt für ihre Pu Erh Tees, welche aus von Nachfahren des Ur-Teebaums gepflückten Teeblättern hergestellt werden. Nach Assam in Nordindien ist der Teebaum nachweislich erst von China aus gekommen. Dennoch trägt die großblättrige Baumform der Camellia Sinensis den Gattungsnamen „Camellia Sinensis Assamica“.
Teebaum in Nordthailand
Enge Verwandte des Ur-Teebaums finden sich jedoch auch in einer Reihe an Yunnan angrenzender Regionen, namentlich Laos, Myanmar, Thailand und Vietnam. Dies spricht dafür, dass Yunnan den Titel „Wiege des Tees“ möglicherweise nicht für sich allein in Anspruch nehmen kann. Dennoch ist die zentrale Rolle Yunnans in der evolutionären Entwicklung und Verbreitung der Teepflanze unbestreitbar. Dass wir heute nicht eine Teepflanze, sondern eine zahlenmäßig nicht bezifferbare Anzahl von Varietäten haben, verdanken wir nämlich hauptsächlich der evolutionären Verbreitung der Teepflanze innerhalb Chinas von dort aus.
Evolutionäre Verbreitung der Teepflanze innerhalb Chinas
Von Yunnan aus lassen sich vier Pfade der evolutionären Verbreitung der Teepflanze in andere Regionen Chinas ziehen:
- Von Yunnan über die heutigen Provinzen Guangxi und Guangdong bis nach Hainan
- Von Yunnan über die heutigen Provinzen Guizhou, Hunan, Jianxi und Fujian bis nach Taiwan
- Von Yunnan über die heutigen Provinzen Sichuan, Chongqing, Hubei und Anhui bis nach Jiangsu
- Von Yunnan über die heutigen Provinzen Sichuan und Shaanxi bis nach Henan
Entstehung neuer Teepflanzen-Varietäten – Die tausend Gesichter der Camellia Sinensis
Diese evolutionären Verbreitungslinien der Teepflanze innerhalb Chinas sind von essentieller Bedeutung für das Verständnis der Entwicklung verschiedener Teepflanzen-Varietäten. Es lässt sich nachverfolgen, dass die Teepflanze – und mit ihr ihre Blätter – entlang dieser Linien immer kleinwüchsiger wurde. So finden sich beispielsweise Zwischenstadien dieser Entwicklung – sog. Halbbaum-Teebüsche – im Fenghuangshan-Gebirge und im Wuyi-Gebirge. Und die kleinsten Tee-Büschlein und -Blätter finden wir an den Endpunkten der Verbreitungslinien, in Hainan, Taiwan, Jiangsu und Henan. Und natürlich ist die Blattgröße nicht das einzige Unterscheidungsmerkmal solcher Unterarten der Camellia Sinensis. Vielmehr entwickelten sich im Zuge der evolutionären Verbreitung der Teepflanze bereits eine kaum überschaubere Anzahl von Varietäten und Kultivaren. Und was für uns das wichtigste ist: jede davon schmeckt anders!
Dancong „Haobbaum-Teebusch“ , Fenghuangshan, Guangdong, China
Erklärt wird diese Entwicklung mit der evolutionären Anpassung des ursprünglichen Teebaums aus Yunnan an die jeweils veränderten Bedingungen vor Ort im Zuge der Verbreitung der Teepflanze. Auf welchen Mechanismen genau solche Prozesse beruhen, mag höhere Wissenschaft sein. Sicher ist aber, dass wir dieser evolutionären Entwicklung den Reichtum an verschiedenen Teepflanzen-Varietäten in China verdanken. Der Grund dafür, warum ein Long Jing Tee aus Hangzhou nicht einmal ungefähr das gleiche ist wie ein Bi Luo Chun Tee aus Jiangsu. Und der Grund dafür, warum man einen Long Jing Tee aus Hangzhou nicht genauso gut auch in Jiangsu anbauen kann. Oder anderswo, wie – konsequent zu Ende gedacht – beispielsweise auch in Deutschland.
Kleinblättriger Teekultivar in Taiwan
Die Teepflanzen-Varietät, aus der er gewonnen wird, ist das am meisten identitätsspendende Merkmal eines jeden Tees. Noch vor den spezifischen Anbaubedingungen, der Pflückzeit und der jeweiligen Verarbeitung eines Tees ist sie der am meisten entscheidende Faktor für dessen Geschmack und Aroma. Nun gibt es in China nun Dank der geschilderten evolutionären Entwicklung bereits seit langer Zeit praktisch unzählbar viele Teepflanzen-Varietäten und folglich ebenso unzählbar viele Teesorten mit jeweils individuellem Geschmack und Aroma. Eine Welt, die gänzlich zu erforschen – oder vielmehr: zu „ertrinken“ – ein Menschenleben nicht ausreicht.
Yun Wu Kultivar, Henan, China
Verbreitung der Teepflanze in Südostasien und darüber hinaus
Wie oben bereits dargestellt, gibt es den Teebaum in seiner ursprünglichen oder einer eng mit dieser verwandten Form von jeher in einer ganzen Reihe von Ländern Südostasiens. Die kleinere Buschform dagegen – die Camellia Sinensis Sinensis – kommt außerhalb Chinas als Folge evolutionärer Prozesse nicht vor. Vielmehr erfolgte die Verbreitung solcher – für die Kultivierung bevorzugten – Arten in südostasiatische Länder wie Indien, Indonesien, Sri Lanka, Japan, Korea, Vietnam und Thailand durch den Menschen. Samen – später Stecklinge – wurden an für geeignet befundene neue Orte gebracht und dort kultiviert. Das gleiche gilt für heutige Teeanbaugebiete außerhalb Südostasiens, beispielsweise Kenia.
Varietäten und Kultivare
Was ist eigentlich der Unterschied zwischen einer Varietät und einem Kultivar? Gute Frage, aber auch auf solche gibt es eine Antwort…
Der deutsche Duden definiert den Befriff „Varietät“ im Bereich der Biologie als „Abart, Spielart“ und synonym mit den Begriffen „Abart, Form, Spielart, Variante“. Den Begriff „Kultivar“ kennt der deutsche Duden nicht. Hier hilft die Wikipedia nicht nur weiter, sondern liefert auch den Schlüssel zur Unterscheidung der beiden Begriffe: „Kultivar oder Kulturvarietät, ist eine Kulturpflanzen-Sorte, die sich von anderen, verwandten Sorten anhand morphologischer, physiologischer, zytologischer, chemischer oder anderer Merkmale unterscheidet“.
Kultivierte Teebäume in Ha Giang, Vietnam
Bei beiden Begriffen geht es grundsätzlich um die Unterscheidung von Unterarten einer Oberkategorie. Ob ein Set von Charakteristika, Unterscheidungs- oder Indiviualitätsmerkmalen einer Teepflanze diese bestimmte Unterart zu einer Varietät oder einem Kultivar macht, darüber entscheidet jeweils der Urheber der Entstehung dieser spezifischen Unterart. Ist der Urheber die Natur, also ein evolutionärer Prozess, dann spricht von einer Varietät. Ist es dageben der Mensch, der durch geographische Ansiedlung oder Züchtung Urheber einer spezifischen Unterart wurde, so spricht man von einem Kultivar. Allerdings finden beide Begriffe sehr häufig auch synonym und ohne Berücksichtigung der oben getroffenen Unterscheidung Verwendung.
Shin Chin Kultivar in Nordthailand
Beispiele für typische Kultivare
Als ein gutes Beispiel für typische Kultivare bietet sich das Portfolio in Taiwan gezüchteter Oolong-Tee-Kultivare an. Seit Anfang des 20. Jahrhunderts und verstärkt seit den 1960er- und 70er-Jahren betreibt Taiwan ein großangelegtes Projekt zur Züchtung individueller Oolongee-Kultivare. Die resultierenden Kultivare sollten bestimmten klimatischen, geologischen und technischen Anforderungsprofilen entsprechen. In eigens eingerichteten „Tea Research and Extension Stations“ (TRES) wurden beispielsweise Kultivare mit erhöhter Resistenz gegen Insekten- oder Pilzbefall gezüchtet. Mittlerweile exportiert Taiwan diese Kultivare erfolgreich in andere Länder nicht nur Südostasiens, wo sie beispielsweise in Thailand, Vietnam oder auch Neuseeland erfolgreich kultiviert werden.
Auszug einer Übersicht in Taiwan entwickelter Oolong-Tee-Kultivare
Ein weiteres gutes Beispiel für einen typischen Kultivar ist der japanische Jabukita-Kultivar. Neben dem für Japan typischen Grüntee-Geschmack besitzt der ca. 80% aller Teepflanzen in Japan stellende Kultivar eine Eigenschaft, die ihn in Japan besonders wirtschaftlich macht. Alle seine Äste wachsen geradeaus nach oben und nicht seitlich in irgendeinem anderen Winkel zur Teepflanze, und die Blätter und Knospen bilden sich nur am oberen Ende jedes Astes aus. Dies macht den Yabukita-Kultivar besonders erntefreundlich für die in Japan üblichen Pflückmaschinen. Außerdem benötigt die Pflanze nur sehr wenig eigenen Platz, so dass sie im Teegarten dicht an dicht stehen kann und keine Anbaufläche verloren geht. Hierbei sind sowohl die geschmacklichen als auch die wirtschaftlichen Eigenschaften des Kultivars die Triebfedern seiner Entwicklung und Verbreitung. Während seine spezifischen Eigenschaften in Japan seit langer Zeit gepflegt und gezielt gefördert werden, stellt der Kultivar heute fast 80% der im Land kultivierten Teepflanzen.
Wenn Sie diesen Artikel interessant fanden, lesen Sie auch den ersten Teil meiner Artikel-Serie, „Was ist eigentlich Tee?“:
Was ist eigentlich Tee – Camellia Sinensis vs. „teeähnliche Erzeugnisse“