Der Geschmack von Tee, seine Wahrnehmung und Beschreibung
Tea Flavor Wheel: System für die standardisierte Beschreibung von Tee-Geschmack
Kennt ihr das? Ihr erzählt einem Freund oder Bekannten von einem neuen Tee, den ihr entdeckt habt, oder postet ein Foto von selbigem auf Facebook oder in einem Online-Forum, und unweigerlich kommt die Frage: ‚Wie schmeckt er denn?‘. Die Suche nach einer Antwort auf diese Frage kann selbst den wortgewandtesten Teeliebhaber ins Grübeln bringen. Natürlich weißt du, wie dein Tee schmeckt, schließlich trinkst du ihn, aber diesen Geschmack zu beschreiben, um das auch noch so, dass deine Beschreibung deinem Gesprächspartner / Leser ermöglicht, eine Vorstellung vom Geschmack deines Tees zu bekommen, die sich mit der deinigen deckt, erweist sich bei näherer Betrachtung sehr schnell als eine Kunst für sich.
Thai Oriental Beauty Oolong Tee: intensiver ‚floraler‘ Geschmack
Um einen gewissen Konsens herzustellen, bedienen wir uns bei der Beschreibung des Geschmacks eines Tees meist Attributen oder Vergleichen, die allgemein verbreitet und bezüglich ihres Inhalts und der mit ihnen verbundenen geschmacklichen Konnotationen Allgemeingut sind. So mag der Geschmack eines besonders frisch-fruchtig anmutenden grünen Tees mit ‚Zitrus‘ tituliert werden, während man umgekehrt von einer Zitrone wohl niemals behaupten würde, sie schmecke wie ein im Frühling geernteter Long Jing Tee. Wer selbst bereits über Tee geschrieben hat oder dies regelmäßig tut, insbesondere in kommerziellen Kontexten, reichend von der werbewirksamen Besprechung eines Tees auf einer einschlägigen Web-Plattform bis zur Produktbeschreibung in einem Online-Teeshop, kennt das Problem: die Beschreibung muss zwei grundsätzlichen Ansprüchen genügen, nämlich zum einen den Geschmack des Tees in einer Weise beschreiben, die vom Leser positiv aufgenommen, d.h. als verführerisch und die Neugier erweckend empfunden wird, und zum anderen wahrheitsgemäß sein, d.h. vom Leser der Beschreibung bei der eigenen Verkostung nachempfunden bzw. nachvollzogen werden können.
Japanischer Kabusecha-Tee: ’süß‘ und ‚grasig-frisch‘
Je länger man über diese Aufgabenstellung nachdenkt, desto offensichtlicher wird zunächst das Offensichtliche, nämlich dass es eine objektive Geschmacksbeschreibung für einen Tee gar nicht geben kann, weil Geschmack per Definition zunächst immer eine Frage des Geschmacks und daher in hohem Maße individuell und subjektiv ist. Dennoch besteht auch unter Individuen ein gewisser Konsens in der Wahrnehmung und Zuordnung bestimmter Geschmacksattribute, besonders dann, wenn diese vordergründig und stark ausgeprägt sind und wenn es sich um allgemein bekannte oder Haupt-Geschmackskategorien handelt (z. B. süß, bitter, sauer, etc.). So werden beispielsweise die meisten Menschen auf der Welt bei der Verkostung von Gummibärchen zu dem übereinstimmenden Ergebnis gelangen, dass diese ‚süß‘ sind. Bei der Erfassung und Beschreibung des Geschmacks eines Tees wird es allerdings deutlich schwieriger, einen solch allgemeinen Konsens herzustellen, da der Geschmack reiner Teesorten meist in einer Kombination unterschiedlich stark präsenter bzw. vorher- oder hintergründiger Geschmacksnoten besteht. Diese sind dazu häufig ‚subtil‘, d.h. sie drängen sich dem Genießer nicht etwa auf, sondern erfordern zum Genuss vielmehr eine gewisse Sensibilität, ein gewisses Feingefühl und ein gewisses Maß an Aufmerksamkeit. Ein klarer Konsens in der Wahrnehmung der am Geschmack eines Tees beteiligten Komponenten und deren Gewichtung und Position im Gesamt-Geschmacksbild eines bestimmten Tees besteht daher eigentlich nur innerhalb der Gruppe von Teeliebhabern, deren Mitglieder alle entweder über diese Sensibilität und das nötige Feingefühl für die subtilen Geschmackskomponenten von Tee verfügen oder bestrebt sind, sich diese anzueignen, und die der Zubereitung und dem Genuss ihres Tees die entsprechende Aufmerksamkeit schenken. Für Nicht-Teeliebhaber sind die geschmacklichen Empfindungen (und Beschreibungen) eines Teeliebhabers für einen Tee oft nur schwer oder gar nicht nachvollziehbar, was letztlich eine gewisse Unzugänglichkeit des Teegenusses für „Außenstehende“ zur Folge hat.
Houjicha Grüner Tee aus Japan: ’nussiger Röstgeschmack‘
Während also jede Beschreibung des Geschmacks eines reinen Tees zunächst nur innerhalb der „Gemeinde“ von Liebhabern solcher Tees auf einen echten Konsens in der Wahrnehmung stoßen wird, stellt sich hier nun das Problem der Vielzahl verwendeter Attribute und Vergleiche, über deren Wahrnehmungsinhalt wiederum auch innerhalb dieser Gruppe nicht unbedingt Konsens besteht oder die als Begriffe nicht eng genug definiert sind, um einen solchen Konsens zu ermöglichen. Als Beispiel möge das sehr häufig verwendete Attribut ‚blumig‘ dienen: wie genau schmecken Blumen und welche Blume ist jeweils gemeint? Um im Sinne eines verbesserten Konsenses bezüglich der Wahrnehmung und Beschreibung des Geschmacks eines Tees – zumindest innerhalb der Welt reiner Tees – eine gewisse Einheitlichkeit in der Verwendung von Begriffen für Geschmacksnoten zu schaffen, sehen wir in jüngster Zeit immer häufiger sogenannte „Tea Flavor Wheels“ (zu deutsch wörtlich: „Teegeschmacksräder“), in denen die einzelnen für Tee relevanten Geschmacksspektren identifiziert, systematisch angeordnet, weiter unterdifferenziert und begrifflich belegt werden. Ein Beispiel für solche in kreisförmigen Schaubildern graphisch dargestellten Kategorisierungsysteme der Geschmacksnoten von Tee findet sich ganz oben in diesem Artikel. Weitere, noch differenziertere Beispiele, die ich hier aus Furcht, Urheberrechte der jeweiligen Marken und Unternehmen zu verletzen, lieber nicht abdrucken möchte, finden sich unter den folgenden Links:
- Temple-Mountain-Tea Tea Flavor Wheel
- Teahouse Kuan Yin Tea Flavor Wheel
- Australian Tea Master Association Tea Flavor Wheel
- Twinings Tea Flavor Wheel
Während dieser Ansatz insgesamt sicherlich zu einer nützlichen und sinnvollen Vereinheitlichung der geschmacksbeschreibenden Begriffe in der Welt des Tees leisten kann, hat er aber auch eine Reihe von Haken. So ist eine Voraussetzung für die erfolgreiche Vereinheitlichung der geschmacksbeschreibenden Begriffe, dass ein Standard für ein solches Schaubild entwickelt wird, der weitverbreitete Anerkennung und Verwendung findet. Dieser Standard könnte durchaus flexibel innerhalb vernünftiger Grenzen sein, aber wenn die Abweichungen zwischen verschiedenen Systemen zu groß werden, schrumpft der Beitrag zur Vereinheitlichung irgendwann naturgemäß auf null. Ein weiterer Haken ist für mich persönlich immer die potentielle geschmackssensorische Nicht-Fassbarkeit des Geschmacksinhaltes einzelner Begriffe und Begriffsfelder: ein Beispiel hierfür wäre die Kategorie ‚Holz‘ mit ihren vielen Unterbegriffen wie Sandelholz, Kiefernholz, Zedernholz… mein Problem ergibt sich letztlich daraus, dass ich nicht wirklich weiß, wie diese Hölzer schmecken oder deren Geschmack sich gar voneinander unterscheidet. Vielmehr basiert die einzige Vorstellung, die ich mir von diesen Geschmäckern möglicherweise machen kann (wenn wir die Möglichkeit, die Hölzer in einer Vergleichsstudie zum Frühstück, Mittag- und Abendessen zu verzehren, einmal ausschließen) auf dem Geruch des jeweiligen Materials beruht und eben nicht auf dessen tatsächlichem Geschmack. Nicht viel anders ist es mit den diversen Blumen und einer Reihe weiterer in den graphischen Darstellungen typischerweise verwendeten Begriffen und Oberbegriffen.
Sencha Grüner Tee aus Japan: ‚Gras- und Heunoten‘
Auf der positiven Seite sind neben der Vereinheitlichung von Vokabular und Begriffsinhalten durch ein allgemein verfügbares und angewandtes Terminologie-System die Möglichkeiten zu nennen, die sich hieraus für Tee-Blogger, Tee-Shop-Betreiber und andere Autoren von Tee-Beschreibungen und Tee-relevanten Texten ergeben. Ich selbst beispielsweise lasse mich beim Schreiben über Tee sehr gern von der in solchen Systemen angebotenen breiten Auswahl von Begriffen inspirieren. Weigern würde ich mich allerdings, das in einem oder einer Kombination aus solchen Attribut-Systemen enthaltene Instrumentarium als in irgendeiner Weise als verbindlich oder gar exklusiv für meine Beschreibungen von Tee-Geschmäckern anzusehen. Der individuellen Kreativität lassen sich schon um ihrer selbst Willen keine solchen Grenzen setzen, ohne dass aus Vereinheitlichung eine totalitäre Kunstfeindlichkeit erwächst, und bar der Orientierung an Begrifflichkeiten, über die ich einen Konsens hätte voraussetzen können, kommt es doch immer wieder vor, dass ein Kunde mir nach der Verkostung eines Tees und Lektüre der von mir dazu erstellten Beschreibung im Siam Tee Shop ein Feedback zukommen lässt, in dem er ausdrücklich angibt, meine geschmackliche Beschreibung des betreffenden Tees ganz genau nachvollziehen zu können!