Blattgrade, Pflück- und Verarbeitungsstandards – Objektive Kriterien zur Qualitätsbeurteilung von Tee
Blattgrade, Pflück- und Verarbeitungsstandards – von „OP“ bis „Pure Buds“
Neben unserem subjektiven Geschmack, dem wohl wichtigsten und am weitesten verbreiteten Kriterium zur Beurteilung, ob ein Tee gut ist oder nicht, gibt es in Tee-Industrie und -Handel auch eine Reihe objektiver, messbarer Kriterien zur Qualitätsbeurteilung eines Tees. Die damit verbundenen Beurteilungs- und Kennzeichnungssysteme haben sich in den verschiedenen Tee-Anbauregionen der Welt jeweils mit besonderer regionaler Ausprägung entwickelt. So sind natürlich nicht nur regional, sondern auch individuell orts- sowie sortenspezifisch zahlreiche „Grading“-Systeme entstanden, welche jeweils die lokalen Besonderheiten, insbesondere die Besonderheiten der jeweils heimischen Teesorten und -Kultivare sowie der jeweiligen Pflück- und Verarbeitungstradition reflektieren. Während anhand solcher Qualitätsskalen zugewiesene Kennzeichnungen – aufgrund des mit der jeweiligen Pflück- oder Verarbeitungsmethode einhergehenden relativen Seltenheitsgrads oder Aufwands – immer auch ihre Entsprechung im Preis eines Tees finden, muss die resultierende Skala keineswegs auch unseren subjektiven Geschmack wiederspiegeln, welcher jeden Tee bei der Verkostung automatisch – unabhängig von anderen qualitätsrelevanten Informationen, über die wir jeweils verfügen mögen oder nicht – irgendwo auf unserer persönlichen Skala stufenlos zwischen „absolut fantastisch“ über „geht so“ bis „untertunnelartig“ platziert. Es ist vielmehr sogar so, dass unser subjektiver Geschmack sehr häufig Dinge „gut“ findet, die – gemessen an objektiven Kriterien – eigentlich gar nicht gut sind (ein Beispiel hierfür wären Softdrinks und Süßigkeiten), und umgekehrt (welches Kind mag schon Spinat?).
Damit ein Qualitätskriterium als objektiv gelten kann, muss seine Prüfung unabhängig von Ort, Umständen und prüfender Person oder Instanz immer das gleiche eindeutige Ergebnis erbringen. In der Anwendung auf Qualitätskriterien für Tee bedeutet dies vereinfacht ausgedrückt, dass ein Erzeuger einen Tee mit bestimmten Attributen kennzeichnet, die sowohl Händlern als auch Endkunden Informationen über bestimmte Eigenschaften dieses Tees (häufig geschmacksrelevante Eigenschaften) liefern und die – ob problemlos oder mit größerem Aufwand verbunden – jederzeit an einer Probe dieses Tees überprüft und bestätigt werden können. Aus Gründen der Übersichtlichkeit legt der folgende Überblick über objektiv bestimmbare Blattgrade und Pflückstandards und damit verbundene Qualitätsstufensysteme den Schwerpunkt auf die in DEN drei historischen Großregionen des weltweiten Teeanbaus, namentlich Indien, China und Japan, verbreiteten Systeme. Diese weisen jeweils Unterschiede, aber auch eine Reihe grundlegender Gemeinsamkeiten auf. So spielen in allen Ansätzen die Ernteperiode, der Pflückstandard und der Verarbeitungsstandard eine zentrale Rolle, wenn auch mit jeweils unterschiedlicher Gewichtung.
Die Angabe der Ernteperiode leitet sich aus der Regel her, dass die Qualität von Tee-Ernten im Frühling am höchsten ist und dann im weiteren Verlauf des Jahres stetig sinkt, bis die Pflückung im Herbst eingestellt und der Teepflanze eine wohlverdiente Winterpause gegönnt wird, während der sie neue Wirk- und Geschmacksstoffe ansammeln kann, bis sie im Frühling wieder neue Knospen treibt. Auch Ausnahmen von dieser Regel, wie zum Beispiel Tees, die eine rare, aber beliebte Vorfrühlingsernte oder eine besonders wohlschmeckende Herbst- oder Winterernte zeitigen, können durch Kennzeichnung der Ernteperiode für Händler und Kunden identifizierbar gemacht werden.
Jin Xuan Oolong Nr. 12 – hochgeschätzte Winternte trotz des Fehlens von Knospen
Ein Pflückstandard beschreibt grundsätzlich das Verhältnis zwischen gepflückten jungen Knospen und jeweils zugehörigen, der Knospe am Ende des Ästchens am nächsten liegenden Blättern. Beispiele hierfür wäre derer für sehr viele chinesische grünen Tees sowie eine Reihe „moderner“ Oolong-Tees als optimal angesehene Pflückstandard von 1+2 (je 1 Knospe mit 2 Blättern) oder der für weiße „Silver Needle“-Tees charakteristische Pflückstandard „reine Knospen“. Einen Unterschied macht es, ob manuell oder mit Maschine gepflückt wird: während ein gegebener Pflückstandard bei manueller Pflückung von Ästchen zu Ästchen relativ exakt umgesetzt werden kann, ist der Anteil der Knospen am Gesamt-Blattmaterial bei maschineller Ernte immer ein Durchschnittswert. Daher wird bei Tee aus maschineller Ernte auch häufig auf die Angabe eines Pflückstandards verzichtet.
Bester Pflückstandard für viele Oolong-Tees: „2+1“
Ein Verarbeitungsstandard kann eine ganze Reihe von Dimensionen haben, darunter die Methode des Welkens der Teeblätter (drinnen oder im Freien, abgedeckt oder freiliegend, unter Wenden oder ohne, Dauer und Häufigkeit der Prozedur, usw.), die Methode des Erhitzens der Teeblätter (Rösten oder Dämpfen, Dauer und Häufigkeit der Prozedur), ob die Teeblätter in der Verarbeitung ganz belassen oder zerkleinert werden und weitere lokal und sortenspezifisch verschiedene Verarbeitungsmerkmale.
Indische Blattgrade – von Pekoe bis SFTGFOP 2
Das in weltberühmten Teeanbauregionen Indiens, wie Darjeeling, Assam oder Sri Lanka, typischerweise verwendete System von Blattgraden erscheint auf den ersten Blick ein wenig verwirrend. Da in Indien traditionell vor allem schwarzer Tee produziert wird, basiert auch das verbreitete System von Blattgraden und Pflückstandards auf der Ernte und Verarbeitung von schwarzem Tee. Nicht nur der Komplexitätsgrad des Systems, dessen Kennzeichnung die Ganzheit und Qualität von Teeblättern, den Anteil junger Knospen am Gesamt-Blattmaterial und die Pflückperiode ausweisen, sondern auch die Repräsentation jeder ausgewiesenen Eigenschaft durch einen Großbuchstaben als Abkürzung, machen es insbesondere für den Laien zunächst schwer zugänglich und nachvollziehbar. Dabei ist es, wenn man sich auf ein Grundgerüst allgemein anerkannter Bezeichnungen und Abkürzungen beschränkt, eigentlich gar nicht so schwer zu verstehen:
Orange Pekoe (= OP) – ganze lange Blätter guter Qualität, wobei „Pekoe“ einfach Teeblatt bedeutet, während es für die Herkunft der Bezeichnung „Orange“ verschiedene mögliche Versionen gibt, die aber alle klar hervorheben, dass „orange“ hier nichts mit Apfelsinen zu tun hat, wie man als Außenstehender ja leicht denken könnte.
Flowery Orange Pekoe (FOP) – Orange Pekoe mit geringem Knospenanteil.
Golden Flowery Orange Pekoe First Grade (GFOP) – wie FOP, nur mit höherem Knospenanteil.
Tippy Golden Flowery Orange Pekoe (TGFOP) – der Tee mit dem höchsten Anteil an Knospen (tippy).
Finest Tippy Golden Flowery Orange Pekoe (FTGFOP) – mit einem Anteil von etwa ein Viertel Knospen (tippy) der qualitativ hochwertigste und oftmals in reiner Handarbeit hergestellte schwarze Tee in Indien.
FOP 1 / FOP 2 – Die Zahl gibt zusätzlich an, ob der Tee während der ersten oder der zweiten Ernteperiode gepflückt wurde.
Broken (B) – taucht ein B in der Abkürzung auf, wie beispielsweise in FBOP , so steht das B für „Broken“ (im Beispiel: Flowery Broken Orange Pekoe), was heißt, dass ganze Blätter einer guten Qualität mit einem kleinen Anteil an Knospen zerkleinert wurden. „Broken“-Blattgrade sind unter Liebhabern indischer Schwarztees recht populär, da die zerkleinerten Teeblätter Geschmack und Farbe im Aufguss schneller und intensiver entfalten.
Fannings – insbesondere minderwertige, als Nicht-„Orange Pekoe“-Teeblätter werden für intensivsten Geschmack und schnelle Entfaltung im Aufguss kleingeheckselt. Obwohl man hier bereits von minderwertiger Qualität spricht, hat auch diese ihre erklärten Freunde, die Fannings-Qualitäten nicht nur wegen des geringeren Preises bevorzugen. Fannings-Tees sind – wie „Dust“ (s. u.) – aufgrund der platzsparenden Konsistenz des resultierenden Materials besonders gut für die Darreichung in Teebeuteln geeignet und in dieser Kategorie daher ein weit verbreiteter Standard.
Dust – unterste „Siebkategorie“: kleinste Teilchen einer in der Regel nicht näher spezifizierten Blattqualität bilden das Schlusslicht auf der Skala indischer Teeblatt-Grade.
So hat sich für schwarze Tees aus Indien ein Pflückstandard- und Blattgrad-System etabliert, das für Erzeuger, Händler und Verbraucher gleichermaßen bindend und transparent ist. Es ermöglicht dem Erzeuger die Unterteilung seines Tees in Sorten verschieden hohen Werts, dem Händler die Möglichkeit der Beurteilung des jeweils resultierenden Preises und dem Endkunden die Identifikation eines Tees mit den von ihm gewünschten Eigenschaften.
Chinesische Pflück- und Verarbeitungsstandards
Der für China typische Ansatz an die objektive Qualitätsbeurteilung von Tee ist weit weniger standardisiert und offiziell als das oben beschriebene indische System. Jede Teeanbauregion Chinas ist von ihrer jeweils eigenen Anbau- und Verarbeitungstradition sowie von den individuellen Anforderungen ihrer jeweiligen heimischen Teekultivare geprägt. Das breite Spektrum der in China gepflegten elementaren Verarbeitungsmodi (grüner Tee, Oolong-Tee, schwarzer, Tee, weißer Tee, Pu Erh Tee, gelber Tee), die Vielfalt der dort traditionell kultivierten Varietäten und das hochdiversifizierte Angebot an aus einzelnen Kultivaren durch Verarbeitungsvariationen gewonnenen Teesorten erschweren zusätzlich die Entwicklung eines einheitlichen Systems der Qualitätsbeurteilung. Dennoch haben sich in Abwesenheit einer zentralen Regelung auch in China ein Satz von objektiven Kriterien zur Qualitätsbewertung und -Kennzeichnung von Tee und ein damit einhergehender Sprachgebrauch etabliert.
Da die manuelle Ernte in China bis heute der Standard ist, werden Pflückstandards mit vergleichsweise mathematischer Genauigkeit ausgedrückt. Für die höchsten Pflückstandards gibt es die Bezeichnungen „Pure Buds“ (reine Knospen), 1+1 (eine Knospe plus ein Blatt) und 1+2 (eine Knospe plus 2 Blätter). Auch 1+3 hat man schon gesehen, aber was darüber hinaus, oder besser gesagt darunter geht, fällt in China in die große Masse der nicht weiter spezifisch eingestuften Tees. Das heißt, ist bei einem chinesischen Tee kein Pflückstandard angegeben, so heißt dies in der Regel, dass es sich bei diesem Tee auch nicht um einen nennenswerten Pflückstandard handelt. Für viele chinesische Teesorten gibt es einen „vorgeschriebenen“ Pflückstandard. Dieser kann, wie zum Beispiel bei weißen „Silver Needle“ Tees, durch die Teesorte selbst definiert sein, während sich für die meisten Teesorten ein als optimal angesehene Pflückstandard auf der Basis jahrhunderte- bis jahrtausendealter Erfahrungen etabliert hat. Ein Beispiel hierfür wäre der für die Mehrzahl der chinesischen Oolong-Tees als Optimum angesehene Pflückstandard von 2+1.
Fuding White Silver Needle – „Pure Buds“ Pflückstandard
Ähnlich ist es mit der Kennzeichnung der Pflückperiode in China. Um der herausragenden Qualität von Frühlingspflückungen Rechnung zu tragen, werden solche gern dadurch gekennzeichnet, dass man dem Namen des Tees das Wort „Spring“ (Frühling) hinzufügt. Als Beispiel hierfür mag unser Wild Spring Long Jing Grüner Tee dienen. In den Begleitdaten chinesischer Tees findet sich darüber hinaus häufig eine nähere Spezifikation der Ernteperiode, wie Vor- oder Spätfrühling, erste oder zweite Pflückung oder sogar die genaue Angabe des Pflückdatums, allerdings nicht, wenn es sich bei der Pflückperiode und eine qualitativ als nachteilig zu erachtende handelt. Dem Verweis auf eine Pflückung im späten Sommer oder im Herbst wird man daher eher selten begegnen.
charakteristisch flach gepresste Spring Long Jing Teeblätter (Pflückstandard 1+2)
In China ist das Zerkleinern von Teeblättern – abgesehen von der Herstellung von Grüntee-Pulvern, den Vorläufern des japanischen Matcha-Tees – von jeher eher unüblich. Vielmehr werden die von Hand gepflückten Teeblätter dort für alle als gut erachteten Qualitäten immer so ganz wie möglich belassen – selbst beim Aufbrechen der Blattoberflächen in der Oolong-Tee-Verarbeitung wird geflissentlich darauf geachtet, dass die Blätter an einem Stück bleiben. Anders als bei indischen Broken-Qualitäten, Fannings oder Dust (oder ganz allgemein in Teebeuteln) ist der verwendete Pflückstandard so auch im fertigen, trockenen Tee-Material noch leicht identifizierbar.
Eine sehr viel größere Rolle als in Indien oder Japan, wo die Verarbeitung der vergleichsweise sehr viel geringer diversifizierten landestypischen Teesorten (grüner Tee in Japan, schwarzer Tee in Indien) relativ einheitlich ist, spielt in China das dort von jeher gepflegte breite Spektrum an Tee-Kultivaren und spezifischen Verarbeitungsvariationen. So ist ein Bi Luo Chun in China nicht irgendein grüner Tee, sondern definiert sich gleichermaßen aus dem spezifischen Tee-Kultivar, aus dem dieser Tee gewonnen wird, und der für diesen Tee charakteristischen traditionellen Methode der Verarbeitung der Blätter zu grünem Tee. Ob ein Tee geröstet oder gedünstet wurde, ob von Hand im Wok oder maschinell, wie lang oder kurz, Besonderheiten beim Welken oder Fixieren der Teeblätter, in jahrhundertalten Familientraditionen verankerte individuelle Verarbeitungsmerkmale oder die für jeden chinesischen Tee existierende charakteristische Verarbeitungsform, also ob und wenn dann wie die Teeblätter gerollt werden (Kugeln, Nadeln, Kringel, gepresst usw.), all dies und mehr sind Informationen, die in China bei einem Tee immer entweder offensichtlich sind oder dem „Datenblatt“ eines hochwertigen Tees ab Erzeuger hinzugefügt werden. Das Fehlen solcher Informationen deutet gerade bei Tees aus China, aber auch bei japanischen Tees meist darauf hin, dass es keine Informationen gab, die als ausreichend vorteilhaft erachtet wurden, um ihre ausdrückliche Ausweisung zu rechtfertigen.
Gerne verwendet man in China Grading-Systeme, in denen die qualitätive Hochwertigkeit eines bestimmten Tees durch Attribute wie „Premium“, „Superior“ oder „First Grade“ angezeigt wird. Allerdings bieten solche Bezeichnungen nur dann einen objektiven Anhaltspunkt, wenn eine Definition bzw. Skalierung der jeweiligen Begriffe / Qualitätsgrade gegeben ist. Ist dies nicht der Fall, werden solche vermeintlich „wertenden“ und „klassifizierenden“Begriffe zu blossen subjektiv wahrgenommenen Marketing-Instrumenten und sind als objektive Qualitätskriterien unbrauchbar.
Bi Luo Chun – more than just „a green tea“
Japanische Pflückstandards und Blattgrade
Auch in Japan – weltweit berühmt vor allem für seinen grünen Tees – haben der Tee-Anbau und die Teeverarbeitung ihre ganz eigene Ausprägung, welche die Auswahl der vorzugsweise verwendeten objektiven Qualitätskriterien für Tee entscheidend beeinflusst. Grüner Tee in Japan wird in den allerseltensten Fällen von Hand gepflückt und/oder verarbeitet (Ausnahme: sog. „Artisan Tees“, also vom Erzeuger persönlich ausgewählte und von Hand verarbeitete Spitzen-Selektionen für Wettbewerbe u. ä. Gelegenheiten). Über den Pflückstandard entscheidet demnach die Einstellung der Pflückmaschine. Einer mathematischen Einstufung einer Tee-Qualität wie beispielsweise in Zentimetern bin ich in diesem Zusammenhang noch nicht begegnet, dennoch versieht man in Japan „feinere“ und damit auch weniger ertragreiche sowie höherpreisige Schnitte gerne mit zusätzlichen Attributen wie beispielsweise „Diamond Leaf“, um die Hochwertigkeit eines Tees zu kennzeichnen und hervorzuheben.
Japanischer Kabusecha-Grüntee – der Schnitt bestimmt die Qualität
Ein ausschließlich für japanische grüne Tees relevanter objektiver Bewertungsfaktor für die Qualität eines Tees ist der Beschattungsgrad. In Japan werden die meisten Teegärten während der Haupternteperiode im Frühling / Frühsommer mit Netzen überspannt, so dass jeweils nur ein kontrollierter Teil des Sonnenlichts die Teepflanzen erreicht. Die dieser Methode zugrundeliegende Idee ist die der möglichst perfekten Nachahmung natürlicher Licht/Schatten-Verhältnisse. Der partielle UV-Licht-Entzug bewirkt, dass die Teepflanzen bestimmte Wirk- und Geschmacksstoffe verstärkt produzieren und in die jungen Knospen und Blätter treiben. Insbesondere der Süßegrad der resultierenden „Kabusecha“-Tees (teilbeschatteter grüner Tee, ca. 50% UV-Filterung für bis zu 3 Wochen) und „Gyokuro“-Tees (vollbeschatteter grüner Tee, ca. 90% UV-Filterung für bis zu 3 Wochen) wird durch die Beschattung erhöht. Obwohl auch unbeschattete japanische Grüntees (Sencha- und Bancha-Tees) durchaus sehr hochwertig sein können, gelten Beschattungsgrad und –Dauer in Japan unbedingt als ein Qualitätskriterium, insbesondere auch wenn es um die Beurteilung eines Kabusecha- oder Gyokuro-Tees innerhalb seiner jeweiligen Kategorie geht, also nicht nur im Vergleich zu einem unbeschatteteten Tee.
Gyokuro Wakana – lange ganze Nadeln für gute Teeblatt-Qualität
Wichtigstes Kriterium neben der Schnittqualität (Pflückstandard) und dem Beschattungsgrad für beschattete Tees (bzw. als Abgrenzung zu unbeschattetem Tee) ist auch in Japan die Ernteperiode. Zusätzlich zur grundsätzlichen Unterscheidung von Frühlings-, Sommer- und Herbsternten wird der Erntezeitpunkt eines Tees häufig auch noch genauer spezifiziert, da Vor- und Spätfrühlingsernten, Früh- und Spätsommerpflückungen sowie auch die Herbsternten bestimmter Teesorten jeweils ganz eigene Geschmacksprofile aufweisen, wegen denen die genaue Pflückzeit eines Tees für Händler und insbesondere Endkunden von Bedeutung ist und daher identifizierbar sein sollte. Während feine Qualitäten von Sencha-Tees, Kabusecha-Tees und Gykuro-Tees sich auf die Erntemonate Mai, Juni und Juli konzentrieren, gibt es insbesondere im Bereich der Bancha-Tees Sorten (wie beispielsweise „Spring Bancha“ oder „Kyobancha“), die per Standard entweder früher oder später im Jahr geerntet werden.
Natürlich gibt es auch in Japan auszuweisende Verarbeitungsvariationen von Tee, wenn auch sehr viel weniger als in China (überwiegend grüner Tee, 80% Jabukita-Kultivar). Zwar haben Schwarz- und Oolong-Tee-Verarbeitung nur einen sehr geringen Anteil an der japanischen Gesamt-Teeproduktion, aber es existieren innerhalb des Bereichs grüner Tee orts- und sortenspezifische Variationen wie eine verlängerte Dämpfperiode (siehe „Fukamushicha“) oder zusätzliches Rösten der Teeblätter nach dem Dämpfen (siehe „Hojicha“). Auch solche Verarbeitungsmerkmale werden gern in der Bezeichnung des Tees verankert oder sind im Datenblatt eines Tees aufgeführt.
Kyobancha- Verarbeitungsvariante eines im Herbst geernteten Bancha-Tees
Grenzen von Blattgraden und Pflückstandards als objektive Bewertungskriterien für die Qualität von Tee
Wie in meinem Artikel „Der Wahre Wert von Tee – ein Holistischer oder Qi-Ansatz“ eingehend erläutert, ist die Anzahl von Faktoren mit Auswirkungen auf die Qualität – oder den Wert – eines Tees tatsächlich potentiell unendlich groß. Auch auf objektive Kriterien wie Blattgrade und Pflückstandards beschränkte Qualitätsbewertungssysteme erfassen letztlich immer nur die jeweils vor Ort als am wichtigsten erachteten qualitätsrelevanten Faktoren. Dazu kommt, dass beim Tee die genaue Ausprägung dieser Attribute von Jahr zu Jahr und Teegarten und Teegarten variieren kann. So kann der „First Flush“ (Tee der ersten Frühlingsernte) TGFOP eines Erzeugers in einem Jahr umwerfend und im nächsten Jahr weniger gut sein. Eine dritte Einschränkung der Gültigkeit objektiver Bewertungskriterien und –Systeme ist das Auftreten von Ausnahmen. So gibt es beispielsweise in China durchaus Tees, auf welche einige der genannten elementaren Annahmen und Voraussetzungen gar nicht zutreffen. Ein gutes Beispiel hierfür ist Tie Guan Yin Oolong Tee, für den gar keine Knospen geerntet werden und für den stattdessen das Alter der Teepflanze ein entscheidender Qualitätsfaktor ist. Andere Teesorten, wie beispielsweise Oriental Beauty Oolong Tee oder White Moonlight Tee, können nur einmal im Jahr für eine kurze Zeit geerntet werden, so dass ihre Pflückperiode sich bereits aus dieser Anforderung definiert.
DMS Oriental Beauty Oolong Tee – immer 2+1 gerollt in einer Kugel
Wo qualitätsrelevante Kennzeichnungen und Informationen auf dem Weg vom Erzeuger zum Teetrinker verloren gehen, weil Händler sie als unwesentlich erachten oder die mit der Weitergabe verbundenen Mühen scheuen, geht dem Endkunden immer ein guter Teil des Wertes eines Tees verloren, denn einen Tee zu trinken ist sicherlich mehr als nur sich eine geschmackliche Wahrnehmung dieses Tees zu verschaffen.
Fazit
Trotz der oben aufgezeigten Grenzen bieten Qualitätskennzeichnungen ab Erzeuger Händlern zuverlässige Orientierungshilfen bei Einkauf, Angebot und Preisgestaltung, liefern dem Endverbraucher wichtige Anhaltspunkte beim Tee-Kauf und bei der Tee-Verkostung und leisten insgesamt einen entscheidenden Beitrag zur Wahrnehmung eines Tees auf dem Markt. Sie ermöglichen dem Teeliebhaber die gezielte Auswahl eines Tees beim Kauf, die Entwicklung einer bestimmten Erwartungshaltung an diesen Tee, und – endlich daheim in der Tasse – eine gute Chance auf eine wenigstens ungefähre Entsprechung dieser Erwartungshaltung. Natürlich bleibt ein gewisses Überraschungspotential beim Tee – mit all seiner Vielgestaltigkeit, den saisonalen und anderweiten Schwankungen – letztlich trotzdem immer garantiertes Element eines jeden Neuerwerbs und jeder neuen Verkostung, denn wie genau und wie gut er uns am Ende schmecken wird, darüber verraten uns oft genug auch die detailliertesten Beschreibungen, differenziertesten Qualitätsattribute und ausgeklügeltesten Kennzeichnungssysteme nur wenig.
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